Fernwärmepreise im Fokus von Presse und Politik: Was Versorger beachten sollten

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veröffentlicht am 21. Februar 2024, aktualisiert am 2. April 2024



 

Die Preisgestaltung von Fernwärmeversorgern steht weiter im medialen Fokus. In jüngster Zeit mehren sich Artikel mit Vorwürfen, wonach Versorger ihre Marktmacht ausnutzten, um Preise für ihre Kunden in die Höhe zu treiben. Es wird argumentiert, dass sie so wertvolles Vertrauen verspielten, welches jedoch im Zuge der Wärmewende von zentraler Bedeutung sein werde. Preiskalkulationen ebenso wie steigende Fernwärmepreise trotz sinkender Erdgaspreise seien zudem schwer nachzuvollziehen. Wärmeversorger verstärkten dadurch Bedenken potenzieller Kunden, sich lange Zeit intransparenten, nicht planbaren Preisen zu unterwerfen. Bundeswirtschaftsminister Habeck schaltete sich in die Debatte ein und kündigte an, überprüfen zu lassen, ob Preise ungerechtfertigt erhöht wurden (lesen Sie hier mehr). Auch eine Erhebung des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, wonach Fernwärme in der Vergangenheit immer teurer werde, wird in den Medien hierbei wiederholt angeführt. Dabei wird auch darauf verwiesen, dass signifikante Preisunterschiede zwischen einzelnen Versorgern bestehen. So wird der Eindruck vermittelt, dass Preiserhöhungen nicht zwangsläufig gerechtfertigt sind.

 

Versorger bilden eine heterogene Gruppe

Ein direkter Vergleich von Fernwärmepreisen ist allerdings nur bedingt aussagekräftig, denn Versorger unterscheiden sich stark voneinander. Die Kostenstruktur der Wärmeerzeugung und somit auch in der Preisgestaltung wird durch eine Vielzahl von Aspekten beeinflusst: So setzen Versorger unterschiedliche Wärmequellen ein, wie beispielsweise fossiles Erdgas, Kraftwerksabwärme oder Tiefengeothermie, deren Gestehungskosten und Gestehungskostenentwicklung stark voneinander abweichen. Zudem lassen sich Unterschiede je nach Beschaffungsstrategie von Brennstoffen, Netzgröße und Alter bzw. Effizienz des Netzes oder Erzeugungsanlagen und vielen weiteren Parametern ausmachen. Fernwärmeversorger können daher nicht als gleichartige Gruppe betrachtet und pauschal miteinander verglichen werden. Die Folge ist eine Vielzahl unterschiedlich gestalteter Preise und Preisgleitformeln, welche den individuellen Gegebenheiten Rechnung tragen. Hier besteht eher eine Parallele zum Trinkwasser: Sowohl bei der Wärme- als auch bei der Wasserversorgung bestehen deutschlandweit teilweise frappierende Kostenunterschiede, je nach Gegebenheiten vor Ort. In beiden Fällen gibt es eine entsprechend fachlich versierte, kontinuierliche Beobachtung durch Kartellämter und Verbraucherschützer, welche überprüfen, ob jeweils vor Ort geltenden Preissysteme passend ausgestaltet sind (wir berichteten). Der Branchenverband AGFW ist gemeinsam mit dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und dem Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) ebenfalls um mehr Übersichtlichkeit bemüht, im April soll eine freiwillige bundesweite Plattform einen Überblick über Wärmepreise in Deutschland möglich machen.1

 

Zusammensetzung von Preisgleitformeln

Da die Errichtung von Wärmeinfrastruktur mit hohem initialem Kapitaleinsatz verbunden und der Betrieb mehrerer paralleler Netze ökonomisch nicht sinnvoll ist, gibt es in der Regel nur einen Anbieter für Fernwärme je Versorgungsgebiet. Typischerweise weisen die Verträge weiterhin eine lange Laufzeit auf, um Investitionssicherheit für die Geldgeber bzw. Eigentümer der Versorgungsunternehmen zu gewährleisten. 

 

Um die Kosten- sowie Marktentwicklung während der Vertragslaufzeit transparent und adäquat an die Wärmekunden weiterzugeben, werden häufig Preissysteme mit Preisgleitformeln verwendet. Damit wird zu Vertragsabschluss vereinbart, dass der Versorger die Preise nur Anhand dieser unter Verwendung von Dritten bereitgestellter Grundlagen anpassen darf. Abbildung 1 zeigt eine beispielhafte Preisgleitformel mit den entsprechenden Erläuterungen. In diesem Beispiel ergibt sich das Kostenelement ausschließlich durch einen Holzhackschnitzelindex und ist mit 70% gewichtet. Der neue Arbeitspreis entwickelt sich also äquivalent zu den zu Grunde gelegten Indizes einer Preisgeleitformel.


 

 

Abbildung 1: Der neue Arbeitspreis ergibt sich auf Grundlage des alten Arbeitspreises sowie der prozentualen Änderung des Holzhackschnitzelindex

 

Preisgleitformeln dürfen dabei nach §24 Abs. 4 AVBFernwärmeV nur so ausgestaltet sein, dass sie sowohl die Kostenentwicklung (Kostenelement) als auch die Wärmemarktverhältnisse (Marktelement) „angemessen berücksichtigen“ (lesen Sie hier mehr zu den jüngsten Entwicklungen). Das Kostenelement ist dabei so zu gestalten, dass die Kostenstruktur des Versorgers möglichst genau abgebildet wird, insbesondere hinsichtlich der Einsatzstoffe und der Beschaffungsstrategie für selbige. Das Marktelement hingegen soll als Korrektiv dienen und die Verhältnisse am Wärmemarkt als Ganzes in die Preisentwicklung integrieren. Ziel ist es, Verbraucher nicht einzig den Preisentwicklungen der konkreten Einsatzstoffe zu unterwerfen, welche vom Versorger zur Wärmeproduktion eingesetzt werden und deutschlandweit nicht zu große Unterschiede einkehren. Die Preisgleitklauseln müssen regelmäßig angewendet werden, insbesondere dann, wenn dies zu Preissenkungen führt.

 

Unterschiedliche Beschaffungsstrategien führen zu gravierend abweichenden Kosten

Die Wahl des passenden Index ist dabei nicht trivial, denn unterschiedliche Beschaffungsstrategien können selbst bei identischen Einsatzstoffen zu gravierend abweichenden Beschaffungskosten führen. Dies lässt sich insbesondere gut an den aus vier verschiedenen fiktiven Beschaffungsstrategien resultierenden Erdgaskosten für die Lieferjahre 2022 und 2023 darstellen, wie Abbildung 2 verdeutlicht.

 

 

Abbildung 2: Der EGIX (Frontmonatsbeschaffung) wird für die Jahre 2022 und 2023 ins Verhältnis zu einer handelstäglichen Frontjahresbeschaffung über 1,2 sowie 3 Jahre gesetzt

 

Gegenübergestellt werden eine Frontmonatsbeschaffung (EGIX), eine handelstägliche Frontjahresbeschaffung (+ 1 Jahr), handelstägliche Frontbeschaffung über zwei Jahre (+2 Jahre) sowie über drei Jahre (+ 3 Jahre). Im Jahr des russischen Angriffs auf die Ukraine (2022) stiegen die Gaspreise rasch an, was sich bei einer Frontmonatsbeschaffung in diesem Jahr unmittelbar bemerkbar macht. In den übrigen abgebildeten Strategien ist die Beschaffung für das Lieferjahr mit Ablauf des Jahres 2021 bereits geschlossen, weshalb hier kein Effekt erkennbar ist. Die Entspannung der Gasmärkte im zweiten Halbjahr 2023 schlägt sich ebenfalls direkt in sinkenden Beschaffungskosten nieder, während die längerfristigen Beschaffungsstrategien jeweils zu höheren Beschaffungskosten gegenüber dem Jahr 2022 führen.

 

Es lässt sich also festhalten, dass die Beschaffungsstrategie in zweierlei Hinsicht Einfluss auf die Kostenentwicklung haben kann, selbst wenn die Einsatzstoffe exakt gleich sind: Sowohl der Zeitpunkt, zu dem sich das Marktpreisgeschehen auf die Beschaffungskosten des Versorgers auswirkt als auch die Höhe des realisierten Preises unterscheiden sich je nach den gewählten Beschaffungsmodalitäten teils erheblich. Versorger müssen dies bei der Ermittlung ihrer Preissysteme berücksichtigen, um gemäß § 24 Absatz 4 AVBFernwärmeV konforme Preisgleitformeln zu entwickeln und wirtschaftlich stabil zu bleiben. Die Politik gibt hier keine Strategie vor, sie fordert aber, dass die Endkunden durch die Preisgleitklausel über die Strategie ihres jeweiligen Versorgers informiert werden.

 

Weltmarktentwicklungen kommen meist verzögert bei Verbrauchern an

Neben der Wahl von zur Beschaffungsstrategie passenden Indizes ist auch der Turnus für Preisanpassungen hinsichtlich der Kommunikation gegenüber den Kunden relevant. Bei der Nutzung von Preisgleitformeln werden zur Anpassung die relevanten Indexwerte über den Referenzzeitraum gemittelt und mit dem jeweiligen Basisindex ins Verhältnis gesetzt. Aus diesem Verhältnis ergibt sich ein entsprechender Steigerungs- bzw. Senkungsfaktor gegenüber dem zum Vertragsabschluss vereinbarten Basispreis. Um ausreichenden Vorlauf für die Kommunikation von Preisanpassungen zu gewährleisten, wird in der Regel ein zeitlicher Versatz zwischen dem Ende des Referenzzeitraumes und dem Zeitpunkt der Preisanpassung (sog. Timelag) geplant.

 

Im Beispiel gemäß Abbildung 3 wird der relevante Indexwert (z. B. H, ME, vgl. Abbildung 1) über 12 Monate gemittelt und mit dem entsprechenden Basiswert ins Verhältnis gesetzt (z. B. H0, ME0, vgl. Abbildung 1). Mit einem Timelag von drei Monaten gilt dann ab dem 1.1.2025 für 12 Monate der angepasste Preis. Dies wird auch als 12-3-12- Anpassung bezeichnet.

 

 

Abbildung 3: Eine Preisanpassung zum 1.1.2025 hat in diesem Beispiel eine Gültigkeit von 12 Monaten und bestimmt sich auf Grundlage eines 12- monatigen Referenzzeitraumes mit einem Timelag von 3 Monaten (12-3-12- Anpassung)

 

Anpassungen von Fernwärmepreisen erfolgen somit in der Regel erst nachgelagert. Dies erklärt auch, warum die Gaspreissteigerungen des Jahres 2022 speziell im Fernwärmebereich häufig erst 2023 in den Endkundenpreisen abgebildet wurden.  Im Gegensatz dazu waren die Preise für Fernwärme im Jahr 2022 stabil, während die Erdgaskunden teilweise schon in diesem Jahr deutlich mehr zahlen mussten.

 

Von dieser Preisentwicklung sind, wie gesetztlich vorgeschrieben, auch die Anbieter CO2-freier Fernwärme betroffen: Über das stark von fossilen Energieträgern beeinflusste Marktelement kam es auch hier zu Kostenentwicklung für die Verbraucher (wir berichteten).

 

Einordnung und Fazit

Die medial kritisierten Preisunterschiede im Sektor Fernwärme können in der Regel auf die nachlaufende Preisanpassung und die grundsätzlich unterschiedlichen technischen Ausgangssituationen unterschiedlicher Versorger zurückgeführt werden. Dies ist aus dem Bereich Trinkwasser bekannt und führt auch dort regelmäßig zu Kontrollen. In der Fernwärme führt allerdings die träge Entwicklung des verpflichtenden Marktelements zu einem zusätzlichen Komplexitätsgrad.

 

Der derzeitige mediale Fokus öffnet die Tür für eine grundlegendere Diskussion über die Regulierung des Fernwärmemarktes. Durch die Heterogenität der Anbieter werden jedoch weiter zwangsläufig Unterschiede in der Preisstruktur zwischen Versorgern bestehen, die es zu beachten gilt. Die Politik muss bei einer eventuellen Überarbeitung der Gesetzeslage also für eine Balance zwischen Attraktivität für Verbraucher und Investitionssicherheit für Versorger und deren Kapitalgeber sorgen, um die Energiewende nicht zu behindern. Das aktuell gesetzlich vorgeschriebene Marktelement schwächt in diesem Zusammenhang die Attraktivität der Fernwärme für beide Seiten, vor allem auf dem Weg in eine klimaneutrale Fernwärme.

 

Angesichts der aktuellen Aufmerksamkeit auf die Branche und die Bedeutung der Fernwärme als Schlüsselinstrument für die Wärmewende ist es für Versorger wichtig, sich mit passenden Wettbewerbern zu vergleichen. Unser Fernwärme Benchmarking bietet hierfür Leistungspakete von einem reinen Marktpreisvergleich bis hin zu umfangreichen Analysepaketen. Teilnehmende Energieversorger berichten, dass die Akzeptanz für die Preise durch die Teilnahme steigt. Benchmarking ist auch im Trinkwasserbereich seit Jahrzehnten das Mittel der Wahl, um etwaige Auffälligkeiten zu erkennen.

 

Zur Absicherung der Zukunftsfähigkeit der Wärmeerzeugung in Zeiten der Transformation ist die Ermittlung passender Fernwärmepreissysteme eine Grundvoraussetzung. Es gilt, diese nach fundierten Methoden zu ermitteln, die Prämissen und Methoden der Preisberechnung zu dokumentieren und laufend nachzuhalten, ob aufgrund des Transformationsprozesses Änderungen notwendig sind. Gegenüber Kundinnen und Kunden empfiehlt sich eine transparente Kommunikationsstrategie, um gegebenenfalls auch in Hochpreisphasen die Entwicklung schlüssig erklären zu können. Mit fortschreitender Dekarbonisierung gilt es weiterhin, die Abhängigkeit von fossilen Preisspitzen zu vermeiden.

 

Gerne unterstützen wir Sie dabei, sprechen Sie uns an!

 

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Quelle: 1 https://www.energate-messenger.de/news/240828/habeck-moechte-mehr-transparenz-bei-fernwaermepreisen

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