Überarbeitung des Gesellschaftsrechts in China: Wichtige Änderungen beim Gesellschaftskapital

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veröffentlicht am 1. März 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten

von Xiaolan Zhao und Christina Gigler

 

Der Entwurf des Gesellschaftsrechts („Änderungsentwurf”) wurde Ende 2021 zur öffentlichen Stellungnahme veröffentlicht. In diesem Änderungsentwurf werden viele Aspekte des Gesellschaftskapitals erheblich überarbeitet. Welche Vorteile und Herausforderungen ergeben sich daraus für Investoren einer chinesischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung?


 
Es gibt drei Aspekte, die Investoren in Bezug auf das Kapital eines Unternehmens am häufigsten in Betracht ziehen: 

  • Fairness und Ausgewogenheit, d.h. wie man alle Gesellschafter fair behandelt und die Interessen zwischen Haupt- und Nebengesellschaftern sowie zwischen dem Unternehmen und seinen Gläubigern ausgleicht; 
  • Effizienz, d.h. wie die oben genannte Fairness und Ausgewogenheit effizient geschützt wird; und 
  • die Gesamtbetrachtung, d.h. wie Unternehmen ein Maximum an Flexibilität, Autonomie und Rentabilität unter strikter Einhaltung der Grundsätze der Rechtmäßigkeit verliehen werden. 

 

Der Änderungsentwurf zeigt die Überlegungen des Gesetzgebers zur Verbesserung und Innovation in diesen Bereichen.

 

Vorgezogener Ablauf der Einzahlungsfrist für das Stammkapital

Wenn ein neues Unternehmen in China gegründet werden soll, ist eine der ersten Überlegungen der Investoren, wie viel Stammkapital investiert werden soll. Nach dem geltenden Gesellschaftsrecht der Volksrepublik China („Gesellschaftsrecht”) können die Gesellschafter frei über Höhe, Laufzeit und Form der Kapitaleinlage ent­scheiden, und die tatsächliche Kapitaleinlage muss nicht vor Ablauf der Laufzeit erfolgen. Unter Ausnutzung dieser Regeln ist es nicht ungewöhnlich, dass Investoren kleine Unternehmen mit einem Stammkapital von Hunderten von Millionen RMB und einer jahrzehntelangen Einzahlungsfrist gründen. Es kann sogar vorkom­men, dass sie die Einzahlungsfrist verlängern, wenn diese Frist näher rückt, um zu erreichen, dass das Kapital nicht eingezahlt werden muss.
 
Ein Vorziehen der Einzahlungsfrist ist nur im Falle des Konkurses, der Auflösung oder der Liquidation eines Unternehmens möglich. Für Gläubiger ist es vergleichsweise schwierig einen Konkursantrag zu stellen, wenngleich dies oft die letzte Möglichkeit ist. Andererseits kann in Situationen, in denen es sich nicht um einen Konkurs oder eine Auflösung handelt, die Frist für die Kapitaleinlage nicht vorgezogen werden, wenn die Gesellschafter sie böswillig vor Fristablauf verlängern. Daher können Gläubiger selbst bei einem günstigen Urteil bei der Vollstreckung auf Schwierigkeiten stoßen.
 
Der Änderungsentwurf könnte einen Ausweg aus diesem Dilemma bieten. In Artikel 48 heißt es: „Ist eine Gesellschaft nicht in der Lage, ihre fälligen Schulden zu begleichen, und ist sie offensichtlich zahlungsunfähig, so sind die Gesellschaft oder ihre Gläubiger berechtigt, von den Gesellschaftern, die ihre Einlagen gezeichnet haben, deren Einzahlungsfrist aber noch nicht abgelaufen ist, die Leistung der Einlagen im Voraus zu verlangen.” 
 
Diese Bestimmung würde das bisherige Problem von Investoren, Höhe und Laufzeit des Stammkapitals nach Belieben zu bestimmen, erheblich verändern und die Schwierigkeiten bei der Urteilsvollstreckung lösen. Investoren sollten die Entwicklung und die tatsächlichen Bedürfnisse des Unternehmens berücksichtigen und durch eine strenge Berechnung eine angemessene Höhe und Laufzeit der Kapitaleinlage festlegen.
 

Anteilsentzug für säumige Gesellschafter

Nach geltendem Recht haben Gesellschafter auch dann einen Anspruch auf das Eigenkapital, wenn sie ihre Einlagen nicht tatsächlich geleistet haben. Wenn ein Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung seinen Einlageverpflichtungen nicht nachgekommen ist oder seine gesamte Einlage zurückgezogen hat und nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach Aufforderung durch die Gesellschaft die Zahlung geleistet oder die Einlage zurückgegeben hat, ist die Gesellschaft berechtigt, einen Beschluss der Gesell­schaf­terversammlung zu fassen, um dem Gesellschafter seine Gesellschaftereigenschaft zu entziehen. In der ge­richtlichen Praxis wird jedoch bei teilweiser Erfüllung der Einlageverpflichtung eines Gesellschafters der Beschluss der Gesellschafterversammlung zur Aufhebung der Gesellschaftereigenschaft vom Gericht in der Regel nicht unterstützt, was zweifellos Raum für „rechtskundige” Gesellschafter lässt, die sich keine Sorgen um einen Rauswurf machen müssen, solange sie einen Teil ihres gezeichneten Kapitals eingezahlt haben.
 
Der vorliegende Änderungsentwurf schafft für diese Situation eine völlig neue Lösung. Er sieht vor, dass ein Gesellschafter, der seine Kapitaleinlagen nicht fristgerecht in voller Höhe leistet oder der tatsächliche Wert des als Kapitaleinlage verwendeten Sachwerts offensichtlich unter dem gezeichneten Betrag liegt und auch auf schriftliche Aufforderung der Gesellschaft zur Kapitaleinlage innerhalb der Nachfrist keine Korrektur vornimmt, sein Recht auf die Beteiligung verliert, für die er seine Kapitaleinlage nicht geleistet hat. Das Verfahren für die Entziehung von Anteilen ist wie folgt:

  1. Die Gesellschaft fordert den Gesellschafter, der seiner Einzahlung nicht vollumfänglich nachkommt, schriftlich unter Setzung einer Nachfrist von mindestens 60 Tagen zur Einzahlung auf;
  2. Leistet der Gesellschafter seine Einlagen immer noch nicht, so kann die Gesellschaft dem Gesellschafter eine schriftliche Mitteilung über den Entzug der Anteile zustellen. Diese Mitteilung wird mit ihrer Absendung wirksam; und
  3. Die Gesellschaft muss innerhalb von sechs Monaten die entzogenen Anteile übertragen oder ihr Stammkapital durch Ausbuchung der entzogenen Anteile herabsetzen.
      

Diese Bestimmungen sind besser geeignet, die Interessen der Gesellschaft und anderer nicht säumiger Gesell­schafter zu schützen, und haben eine abschreckende Wirkung auf Gesellschafter, die ihre Kapitaleinlagen nicht vollständig und rechtzeitig einzahlen.
 
Allerdings müssen diese Bestimmungen in Bezug auf ihre Funktionsfähigkeit noch verbessert werden. So muss nach dem geltenden Gesetz und dem Änderungsentwurf der Beschluss einer Gesellschafterversammlung über eine Kapitalherabsetzung von den Gesellschaftern gefasst werden, die mindestens zwei Drittel der Stimm­rechte vertreten. Kann ein gültiger Beschluss gefasst werden, wenn die entzogenen Anteile mehr als ein Drittel betragen? Wenn der Gesellschafter, der die Kapitaleinlage nicht rechtzeitig und in vollem Umfang leistet, der absolut kontrollierende Mehrheitsgesellschafter ist, was dazu führt, dass die Gesellschaft die Mitteilung über den Entzug der Anteile verzögert oder nicht ausführt, welches Verfahren könnte der Minderheitsgesellschafter einschlagen, um den Entzug der Anteile zu vollenden? Es ist zu hoffen, dass das spätere Recht und die ein­schlägigen gerichtlichen Auslegungen diese Unsicherheiten weiter ausräumen werden.
  

Anteilsübertragung an einen Nicht-Gesellschafter

Nach dem geltenden Gesellschaftsrecht muss ein Gesellschafter, der seine Anteile an einen Nicht-Gesell­schaf­ter übertragen will, die Zustimmung von mehr als der Hälfte der anderen Gesellschafter einholen. Der Gesellschafter informiert danach die anderen Gesellschafter schriftlich über die vorgeschlagene Anteils­über­tragung und holt deren Zustimmung ein. Erfolgt innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt der schriftlichen Mittei­lung keine Antwort, so gilt dies als Zustimmung zu der vorgeschlagenen Übertragung. Stimmt mehr als die Hälfte der anderen Gesellschafter der vorgeschlagenen Übertragung nicht zu, so erwerben die nicht zustim­men­den Gesellschafter diese Anteile. Andernfalls wird davon ausgegangen, dass sie der vorgeschlagenen Übertragung zugestimmt haben. Stimmen die Gesellschafter der vorgeschlagenen Übertragung zu, haben die anderen Gesellschafter ein Vorkaufsrecht auf den Erwerb dieser Anteile zu ähnlichen Bedingungen.
  
In der Praxis kommt es jedoch häufig vor, dass die anderen Gesellschafter der Übertragung nicht zustimmen und ihr Vorkaufsrecht nicht ausüben, was die Transaktion erschwert und sie verzögert.
 
Im Änderungsentwurf wird die obige Bestimmung dahingehend abgeändert, dass die Zustimmung der Mehrheit der Gesellschafter für die externe Kapitalübertragung nicht erforderlich ist.  Nach Ablauf der Frist haben die anderen Gesellschafter nur noch die Möglichkeit, zu kaufen oder auf den Kauf zu verzichten. Der Verzicht oder das Unterlassen einer rechtzeitigen Erklärung gilt als Verzicht auf das Vorkaufsrecht. Darüber hinaus legt der Änderungsentwurf weitere wesentliche Faktoren für die gleichwertigen Bedingungen des Vorkaufsrechts fest, nämlich Menge, Preis und Art der Zahlung sowie die zeitliche Begrenzung der Anteilsübertragung. Diese Faktoren werden derzeit nicht direkt im Gesellschaftsgesetz erwähnt, sondern sind in Artikel 18 der Bestim­mungen des Obersten Volksgerichts zu verschiedenen Fragen der Anwendung des Gesellschaftsrechts der Volksrepublik China (IV) aufgeführt.
 
Darüber hinaus sieht Artikel 87 des Änderungsentwurfs vor, dass das Unternehmen bei der Änderung des Gesellschafterregisters und der Erledigung der Eintragungsformalitäten bei der örtlichen Behörde für Marktregulierung mitwirken muss und dies nicht ohne triftige Gründe verweigern darf. Sowohl der neue als auch der verkaufende Gesellschafter können Klage gegen die Gesellschaft erheben, wenn diese die Zusammenarbeit verweigert oder nicht innerhalb einer angemessenen Frist leistet.
 
Die oben genannten Änderungen vereinfachen die Vorgänge bei der Ausübung von Bezugsrechten, erhöhen die Effizienz der Anteilsübertragung und beschleunigen den Kapitalfluss. Die Erleichterung der Eigen­kapi­tal­über­tragung hat jedoch gleichzeitig Auswirkungen auf die Stabilität des Unternehmens, was sich wiederum auf die Unternehmensstruktur, die Geschäftspolitik und die Investitionsausrichtung des Unternehmens auswirken kann. Investoren sollten bei der Wahl des Kooperationspartners mehr Vorsicht walten lassen.
 

Binäre Verfahrensstruktur der Kapitalherabsetzung

Nach dem geltenden Gesellschaftsrecht erfolgt eine Kapitalherabsetzung durch Rückkauf der Gesellschafts­anteile von Gesellschaftern, Rückgabe des bereits bestehenden Stammkapitals oder Befreiung von der Zahlungspflicht der Gesellschafter. Bei solchen Verfahren fließen die Vermögenswerte des Unternehmens an die Gesellschafter zurück, was sich auf die Solvenz des Unternehmens auswirkt und  die Interessen der Gläubiger beeinträchtigen kann. Aus diesem Grund muss das Unternehmen die in Artikel 177 des geltenden Gesellschaftsgesetzes festgelegten Verfahren zur Kapitalherabsetzung strikt einhalten, seine Gläubiger benachrichtigen und eine Bekanntmachung in einer einschlägigen  Zeitung (z.B. China Market Supervision Newspaper) veröffentlichen. Gläubiger können vom Unternehmen verlangen, Schulden zu begleichen oder eine entsprechende Sicherheit zu leisten.
  
Die im Änderungsentwurf vorgesehene vereinfachte Kapitalherabsetzung bedeutet, dass ein Unternehmen, das einen Verlust erleidet, der nicht durch die Rücklagen des Unternehmens gedeckt werden kann, diesen Verlust durch eine bloße Anpassung zwischen den Konten "gesetzliche Kapitalrücklage" und "Gewinnausschüttung" in den Geschäftsbüchern ausgleichen kann. Mit einer solchen abstrakten Transaktion erhalten die Gesellschafter ihre Einlage nicht tatsächlich von der Gesellschaft zurück, und das Nettovermögen der Gesellschaft wird nicht verringert.
 
Daher ist das Verfahren der vereinfachten Kapitalherabsetzung einfacher als die allgemeine Kapital­herab­setzung. Es ist nicht erforderlich, die Gläubiger zu benachrichtigen, ihnen Sicherheiten zu leisten oder Schulden im Voraus zu begleichen, aber es muss eine Ankündigung in einer einschlägigen Zeitung oder in der offiziellen Unternehmensdatenbank (National Enterprise Credit Information Publicity System) erfolgen.
 
Nach einer derartigen Kapitalherabsetzung darf kein Gewinn ausgeschüttet werden, bevor der kumulierte Betrag der gesetzlichen Rücklage das Stammkapital der Gesellschaft übersteigt, und die Gesellschafter werden nicht von der Verpflichtung zur Einzahlung der Anteile befreit. Während den Gesellschaftern Flexibilität eingeräumt wird, ist Sorge für die Solvenz des Unternehmens zu tragen.
 

Rechtliche Folgen bei unberechtigtem Kapitalabzug

Das geltende Gesellschaftsrecht sieht nur allgemein vor, dass Gesellschafter ihre Kapitaleinlagen nicht heimlich abziehen dürfen. In Artikel 14 der Bestimmungen des Obersten Volksgerichts zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung des Gesellschaftsrechts der Volksrepublik China (III) (Bestimmungen III) ist ferner festgelegt, dass der Gesellschafter im Falle einer Kapitalentnahme das Kapital und die Zinsen der Kapitaleinlage an das Unternehmen zurückzahlen muss und dass die anderen Gesells­schafter, Direktoren, leitenden Angestellten oder die tatsächlich kontrollierende Partei, die die Entnahme der Kapitaleinlage unterstützt/unterstützen, gesamtschuldnerisch haften.
 
Um den Kapitalabzug zu bekämpfen und die Stabilität der Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft zu schützen, sieht der Änderungsentwurf vor, dass die Zinsen dafür zum Zinssatz für Bankeinlagen für den gleichen Zeitraum berechnet werden und dass der Gesellschafter für den Schaden, der der Gesellschaft entsteht, entschädigungspflichtig ist.
  
In Anbetracht der Tatsache, dass ein Gesellschafter in der Regel keinen Kapitalabzug vornehmen kann, ohne sich mit der Unternehmensleitung abzusprechen, betont der Änderungsentwurf auch die Verantwortung der Direktoren, des Aufsichtsrats und der leitenden Angestellten bzw. der tatsächlich kontrollierenden Partei. Gemäß den Bestimmungen III haften diese Personen nur dann gesamtschuldnerisch, wenn sie Beihilfe geleistet haben. Der Änderungsentwurf sieht vor, dass diejenigen, die von der Handlung des Gesellschafters wissen oder wissen sollen, aber keine erforderlichen Maßnahmen ergreifen und dadurch der Gesellschaft einen Schaden zufügen, schadenersatzpflichtig sind. Mit diesen neuen Bestimmungen sollte die Unternehmens­leitung ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen, und die Interessen des Unternehmens und der Gläubiger werden besser geschützt.
 

Ausblick

Der Änderungsentwurf stellt einen Durchbruch im Hinblick auf den Schutz der Rechte und Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern, die Stärkung der Unternehmensautonomie und die Gewährleistung der Flexibilität des Unternehmens dar. Seine Umsetzung kann jedoch noch auf verschiedene Herausforderungen stoßen. Wir gehen derzeit davon aus, dass weitere Verbesserungen durch begleitende Regelungen und Auslegungen erreicht werden können. In jedem Fall befindet sich der Änderungsentwurf noch in der Phase der Einholung öffentlicher Stellungnahmen, und wir rechnen mit weiteren Überarbeitungen des Entwurfs vor seiner Fertigstellung. 

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