Prozessuale und technische Herausforderungen: Änderung des Umsatzsteuersatzes im Corona-Konjunkturpaket

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veröffentlicht am 9. Juni 2020 | Lesedauer ca. 4 Minuten

von Tim König, Rödl & Partner Stuttgart, und Julia Daubenmerkl

  

Aufgrund des Corona-Konjunkturpakets sind umsatzsteuerliche Änderungen in Deutschland geplant. Daraus ergeben sich Risiken für Unternehmen, denen prozessual und ERP-seitig begegnet werden kann.

  

 

 

 

Wesentliche umsatzsteuerliche Änderungsvorschläge im Corona-Konjunkturpaket vom 3. Juni 2020

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind weitreichend. Um ihnen zu begegnen, hat sich die große Koalition auf ein nie dagewesenes milliardenschweres Konjunkturprogramm geeinigt.

 

Neben Maßnahmen wie z.B. dem Kinderbonus für Familien mit Kindern und der Entlastung für Bürger und Unternehmen bei den Stromkosten, sticht vor allem die Änderung der deutschen Umsatzsteuersätze heraus. So sollen die Umsatzsteuersätze im Zeitraum zwischen 1. Juli 2020 bis einschließlich 31. Dezember 2020 vorübergehend wie folgt geändert werden (vgl. S. 1, Tz. A) Nr. 1 des Eckpunktpapiers des BMF zum Koalitionsausschuss v. 3.6.2020):

  • Absenkung des Regelsteuersatzes von derzeit 19 auf 16 Prozent und
  • Absenkung des reduzierten Steuersatzes von derzeit 7 auf 5 Prozent

 

Insoweit der Vorschlag in die Tat (d.h. in das Umsatzsteuergesetz) umgesetzt wird, müssen Unternehmen grundsätzlich auf alle Lieferungen und sonstige Leistungen, die nach dem 30. Juni 2020 und vor dem 01.01.2021 ausgeführt werden, eine um drei bzw. zwei Prozentpunkte geringere Umsatzsteuerlast an das Finanzamt abführen. D.h. es kann hierdurch zu echten Einsparungen für Unternehmer bzw. Endkunden kommen (Finanzbedarf und somit Entlastung auf der letzten Handelsstufe ca. EUR 20 Mrd.).

Bislang liegt hierzu weder der Entwurf eines Gesetzes noch eines BMF-Schreibens vor. Solange keine gegenteiligen Äußerungen des BMF vorliegen, sollten sich Unternehmen bei Zweifelsfragen wohl auf das BMF-Schreiben vom 11.8.2006 (Az. IV A 5 - S 7210 - 23/06) zum Wechsel des Umsatzsteuersatzes von 16 Prozent auf 19 Prozent zum 1. Januar 2007 berufen können.

 

Eine weitere umsatzsteuerrelevante Änderung ist für Einfuhrfälle vorgesehen. So sieht das Konjunkturprogramm eine Verschiebung der Fälligkeit der Einfuhrumsatzsteuer auf den 26. des Folgemonats vor (vgl. S. 2, Tz. A) Nr. 4 des Eckpunktpapiers des BMF zum Koalitionsausschuss v. 3.6.2020). D.h. die Maßnahme ist auf einen Liquiditätseffekt beschränkt.

 

Mit der Maßnahme soll Importeuren in Deutschland Liquiditätsvorteile ermöglicht werden und eine Angleichung an die Regelungen zur Einfuhrumsatzsteuer in anderen EU-Ländern erreicht werden. So sehen z.B. einige EU-Länder die Zahlung und den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer im Rahmen einer einzigen Umsatzsteuermeldung vor, wodurch bei Abzugsfähigkeit eine Liquiditätsauswirkung vermieden werden kann. Bislang ist die Einfuhrumsatzsteuer in Deutschland grundsätzlich bereits im Moment der Überführung in den freien Verkehr bzw. mit Zahlungsaufschub am 16. des Folgemonats fällig. Die Verlängerung sollte wohl in Verbindung mit dem Zahlungsaufschub stehen.

 

Bedeutung für die Praxis: Änderung der Umsatzsteuersätze

Im Hinblick auf die voraussichtliche Änderung der Umsatzsteuersätze ab dem 1. Juli 2020 sind vor allem aufgrund des geringen Vorlaufs, unmittelbar erste Schritte im Unternehmen einzuleiten.

Hierbei besteht insbesondere hinsichtlich folgender Themen Handlungsbedarf:

 

  • Zutreffende Periodenabgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen, welche in unmittelbaren Zeiträumen vor bzw. nach den Stichtagen erbracht werden. Sollte beispielsweise eine Lieferung im Juni 2020 ausgeführt worden sein, die entsprechende Rechnung jedoch erst im Juli 2020 fakturiert werden, wäre diese Lieferung grundsätzlich zum alten Steuersatz (von 19 Prozent) zu fakturieren. Entscheidend ist lediglich der Zeitpunkt der Leistungserbringung, womit der Zeitpunkt der vertraglichen Vereinbarung, Rechnungstellung oder Erhalt der Zahlung im Rahmen der Soll-Besteuerung grundsätzlich nicht maßgeblich ist.
  • Durchführung eventuell notwendiger Berichtigungen der abzuführenden Umsatzsteuer bzw. des Vorsteuerabzuges im Falle von Anzahlungsrechnungen und Sicherstellung der zutreffenden Fakturierung von Endrechnungen (maßgeblich ist grundsätzlich der Zeitpunkt der umsatzsteuerlichen Leistungserbringung, nicht der Vereinnahmung des Entgelts, § 27 Abs. 1 S. 2 UStG).
  • Behandlung von Dauerleistungen (z.B. Miete, Lizenzen). Insbesondere bzgl. Vorsteuerabzug und anwendbarem Ausgangssteuersatz, wenn z.B. jährlich abgerechnet wird. Hier könnten sich unter Umständen Gestaltungsspielräume bzgl. dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer bei Teilleistungen ergeben.
  • Dauerrechnungen und Verträge, die als Rechnung gelten, müssen ggf. entsprechend angepasst werden, sonst wird die höhere Umsatzsteuer geschuldet.
  • Umgang mit langfristigen Projekten, offenen Aufträgen bzw. Abrufen aus Rahmenvereinbarungen und den anwendbaren Steuersätzen bzw. mit bereits geschlossenen oder im Übergangszeitraum zu schließenden Verträgen und die Behandlung der Umsatzsteuer (z.B. Abgrenzung nach Verträgen mit Brutto- oder Nettopreisvereinbarung, Ansprüche auf Ausgleich der umsatzsteuerlichen Mehr- oder Minderbelastung nach § 29 UStG).
  • Klärung bzgl. Preisanpassungsbedarf bzw. der Möglichkeit hierzu, insbesondere im B2C-Kundenverkehr bzw. in Bezug auf Verkäufe an Kunden ohne Vorsteuerabzug.
  • Prüfung des zutreffenden Vorsteuerabzugs. Auch wenn beispielsweise 19 Prozent Umsatzsteuer auf einer Eingangsrechnung ausgewiesen sind, die zugrundeliegende Lieferung oder sonstige Leistung umsatzsteuerlich jedoch nach dem 30. Juni 2020 und vor dem 1. Januar 2021 erbracht wurde, wäre nur der entsprechende reduzierte Steuersatz in Höhe von 16 Prozent abziehbar.

  

Die oben genannten Themen sollten in Verbindung mit der wohl anstehenden Änderung nach dem 31. Dezember 2020 zurück zu den ursprünglichen Steuersätzen von 19 Prozent bzw. 7 Prozent erneut geprüft werden.

 

Prozessuale und technische Herausforderungen

Um den Steuersatzänderungen prozessual und ERP-technisch zu begegnen, empfehlen wir die unmittelbare Prüfung und bedarfsgerechte Einleitung folgender Schritte:

  • Anlage neuer Steuerkennzeichen für die Erbringung von Lieferungen und sonstigen Leistungen (d.h. 16 Prozent und ggf. 5 Prozent ausgangsseitig) sowie für den Leistungsbezug (d.h. 16 Prozent und ggf. 5 Prozent für reguläre Eingangsleistungen, innergemeinschaftliche Erwerbe, § 13b UStG Eingangsleistungen und Einfuhrumsatzsteuer). Eine Überschreibung der bisherigen Steuerschlüssel für 19 Prozent bzw. 7 Prozent ist aus Gründen der Nachvollziehbarkeit bei späteren Prüfungen und ggf. aufgrund neuer notwendiger Zuordnung der Steuerkennzeichen zu den USt-Voranmeldungs- oder Jahreserklärungskennziffern nicht empfehlenswert. Überarbeitung der Einstellungen zur elektronischen Übermittlung der UStVA (Mapping Steuerkennzeichen zu den USt-Voranmeldungs- oder Jahreserklärungskennziffern)
  • Anpassung der Rechnungslayouts für Ausgangsumsätze. Das Layout muss für Umsätze, welche nach dem 30. Juni 2020 ausgeführt werden, den entsprechend verminderten Umsatzsteuersatz in Höhe von 16 Prozent bzw. 5 Prozent und den Umsatzsteuerbetrag entsprechend offen ausweisen.
  • Neukonfiguration der Steuerfindung in Einkauf- und Vertriebsmodulen (z.B. in den SAP-Modulen MM und SD). Insbesondere Sicherstellung, dass die entsprechenden Steuerkonditionen gepflegt sind und die neuen Steuersätze von Bestellanlage oder Auftragserstellung bis zum Rechnungseingang oder Rechnungsversand zutreffend ermittelt worden sind.
  • Aktualisierung von Reisekosten-/Spesenabrechnungsprozessen und Kassensystemen und deren Buchungsvorgänge.
  • Ggf. Anlage neuer Bilanzkonten zur Abgrenzung der Umsatzsteuern/Vorsteuern.
  • Sicherstellung der Periodenabgrenzung bzgl. des anwendbaren Steuersatzes. Beispielsweise mittels Richtlinie/Arbeitsanweisung an Fachbereiche und/oder systemseitigen (präventiven) Kontrollen.
  • Überprüfung von offenen Aufträge und vorgemerkten Bestellungen, die bisher systemisch mit dem Steuerkennzeichen und Umsatzsteuersatz für 19 Prozent bzw. 7 Prozent eingeschrieben wurden. Ein automatisierter Lauf z.B. anhand von Batch-Input-Mappen oder ähnlichem vermeidet manuellen Änderungsaufwand und gewährleistet eine taggenaue Anpassung.
  • Prüfung von Anzahlungsfällen zur Identifikation von zu berichtigenden Fällen und Durchführung entsprechender Berichtigungen und systemseitige Sicherstellung der zutreffenden Fakturierung von Endrechnungen. Beispielsweise über eine entsprechende systemseitige Analyse (z.B. Abgleich Datum Vereinnahmung Anzahlung und Leistungserbringung).
  • Sicherstellung der prozessualen (systemseitigen) Prüfung von Eingangsrechnungen auf das Leistungsdatum und den zutreffend angewandten Steuersatz. Insbesondere Sicherstellung, dass Rechnungen mit zu hohem Umsatzsteuerausweis zurückgewiesen werden.
  • Bei der Prüfung von Eingangsrechnungen ist vorrausichtlich ebenfalls sicherzustellen, dass Rechnungen über entsprechende Restaurationsleistungen (Speisen) für Leistungszeiträume nach dem 30. Juni 2020 und vor dem 1. Juli 2021 mit dem jeweils gültigen reduzierten Umsatzsteuersatz besteuert werden.

 

Änderung Fälligkeit Einfuhrumsatzsteuer

Die Verlängerung der Zahlungsfrist der Einfuhrumsatzsteuer auf den 26. des Folgemonats kann für zusätzliche Liquidität im Unternehmen sorgen. Insoweit Unternehmen ihre Umsatzsteuer-Voranmeldungen ohne Inanspruchnahme einer Dauerfristverlängerung bis zum 10. des Folgemonats abgeben und darin bereits die Einfuhrumsatzsteuer zum Abzug bringen, sollte die Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer grundsätzlich keine negative Liquiditätsauswirkung haben.
 

Vorgehen und weitere Informationen

Es gilt zu beachten, dass aufgrund der Kürze der Zeit von nur ca. 16 Werktagen bis zur voraussichtlichen Einführung der Änderung bereits jetzt unmittelbarer Handlungsbedarf besteht. Grundvoraussetzung für die Identifikation möglicher Maßnahmen für Ihr Unternehmen ist die Schaffung der Transparenz über die vorhandenen Transaktionen und kritischen Fälle.

 

Rödl & Partner bietet hierzu die Durchführung einer Prozess- und Datenanalyse mit Fokus auf die umsatzsteuerlichen Konsequenzen an. Insbesondere können die wesentlichen umsatzsteuerlichen Risikofelder bei der Umstellung der Umsatzsteuersätze Ihres Geschäftsmodells durch unsere IT-basierte Datenanalysen effizient und zuverlässig ermittelt werden (z.B. zu berichtigende Vorauszahlungen). Daneben können wir Sie bei der Anpassung im ERP-System umfassend unterstützen. Um effizient und schnell eine passende Lösung zu finden, können Sie gerne zeitnah mit uns in Kontakt treten.

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