Pflege 4.0: Digitalisierung von Pflegeprozessen

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Digitalisierung von Pflege­prozessen und der damit verbundenen Dokumentations­tätigkeiten können zu einer Entlastung der Pflegekräfte und demnach zu einer Verbesserung der Pflege für Patienten bzw. Klienten führen. Um positive Effekte zu maximieren, sollte zuerst eine Optimierung der Pflegeprozesse durchgeführt werden, um dann den neu geordneten und optimierten Prozess zu digitalisieren.

   


In vielen Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern werden Lösungsansätze gesucht, um die Pflegenden in ihrer Pflege­tätigkeit weiter zu entlasten. Der Grund hierfür ist die deutliche Arbeitsverdichtung für Pflegekräfte, resultierend aus den Auswirkungen des demographischen Wandels, dem Fortschreiten der Multimorbidität und dem zunehmenden Fachkräftemangel. Die RN4Cast Auswertung zeigt, dass Deutschland mit einem Verhältnis von 10,3 Pflegebedürftigen auf eine Pflegekraft weit über dem internationalen Durchschnitt liegt. Zusätzlich ist die Berufsgruppe der Pflegenden laut dem NursIT Institut mit rund 27 Prozent die am geringsten digitalisierte in Deutschland (vgl. NursIT Institut). 


Patientenferne Tätigkeiten wie Service­tätigkeiten, Pflege­­dokumentation, Pflegeplanung und Pflege­koordination werden von den Fachkräften häufig als lästige Zeitfresser empfunden. Das Ziel, die pflegerischen Aufgaben auf die eigentliche patientennahe bzw. klientennahe Tätigkeit zu zentrieren, wird als immer dringlicher eingestuft. Es werden Lösungen gesucht, patienten­ferne Tätigkeiten für die Pflegefachkräfte möglichst zeitsparend neu zu definieren. Zudem wird für die meisten Anbieter von Pflegedienstleistungen, ob ambulant oder stationär, die kosten­deckende Refinanzierung immer schwieriger – was zu einem effektiven Einsatz der Fachkräfte führen muss. Assistenz- und Hilfstätigkeiten sollten aus betriebswirtschaftlichen Gesichts­punkten ausschließlich durch niedriger eingruppierte Hilfskräfte erledigt werden.


Diese Problematik wurde auch schon seitens des Gesetzgebers aufgegriffen und spiegelt sich in § 113 SGB XI wieder. Das Prinzip lautet: weg von den Kladden und Zetteln hin zu einer praxistauglichen und pflegeprozessunterstützenden digitalen Patientenakte (vgl. Kuratorium Deutsche Altershilfe 2013).

 

Chancen und Heraus­forderungen der digitalen Pflege­­dokumentation: Zeit- und Koordinationsvorteil

Die papierbasierte Pflegedokumentation benötigt neben weiteren kleineren Nachteilen einen hohen Zeitaufwand. Die papierbasierte Patientenakte steht immer nur einem bzw. für eine Person zur Verfügung. Das Suchen bzw. Anfordern der Akte stellt demzufolge einen erheblichen Zeitfaktor dar. Die digitale Pflegeakte hingegen ist für alle berechtigten Personen ortsunab­hängig und zeitgleich einsehbar und damit deutlich effizienter als das papierbasierte Pendant. Durch schnelle Dokumentation und Informations­weitergabe sowie zügiges Abrufen und Speichern von Patienteninformationen kann wertvolle Zeit eingespart werden (vgl. Gulova 2012). Darüber hinaus führt die digitale Pflegedokumentation zu einer besseren interdisziplinären Kommunikation zwischen der Schnittstelle aller am Genesungs- und Abrechnungsprozess beteiligter Berufsgruppen.

 

Optimierung durch Fehlervermeidung

Übertragungsfehler und Missverständnisse bezüglich unleserlicher Handschriften sind Fehler­­risikoquellen, die aus der papierbasierten Pflegedokumentation resultieren. Vor allem hinsichtlich der Medika­menten­verordnung können sich aufgrund hand­schriftlicher Missver­ständnisse schwerwiegende Fehler ereignen. Eine Studie des Inselspitals in Bern zeigt, dass 42 Prozent der Verordnungen kaum und 15 Prozent überhaupt nicht lesbar waren. Ein Vergleich mit den tatsächlich gestellten Medikamenten wich teilweise erheblich ab (vgl. Mayer 2011). Die digitale Patientenakte ermöglicht eine deutliche Reduktion dieser Fehlerquelle durch gute Lesbarkeit der Patientendokumentation und führt damit zu einer Qualitäts­steigerung der Pflege (vgl. Gulova 2012). Die verbesserte Lesbarkeit, in Kombination mit der ständigen Verfügbarkeit und Vollständigkeit der Akte, erhöht gleichzeitig die Nutzerakzeptanz, was wiederum für eine erfolgreiche Anwendung der digitalen Pflegeakte von großer Bedeutung ist (vgl. Kuratorium Deutsche Altershilfe 2013). 

 

Optimierung durch Standardisierung

In der ambulanten Altenpflege wurden weitere Defizite der Papier­dokumentation identifiziert. So führt das partielle Fehlen vorgefertigter bzw. standardisierter Angaben zum Doku­men­tations­inhalt zu Mängeln wie lückenhafter Dokumentation bspw. in Form von Missachtung der „W-Fragen” während des Dokumen­tations­­prozesses (vgl. Kuratorium Deutsche Altershilfe 2013).


Ein wichtiger Ansatzpunkt der digitalen Pflegeakte ist die Optimierung der Dokumentation in vielerlei Hinsicht, die sich weitgehend auf den gesamten Pflegeprozess auswirkt. Der Medizinische Dienst der Kranken­­versicherung (MDK) stellt grundsätzlich Anforderungen an eine angemessene Pflege­dokumentation mit einer Mindest­ausstattung an Inhalten. Kritisch sieht der MDK Dokumentations­inhalte, die einen nicht nachvollziehbar dokumentierten Pflegebedarf bzw. Pflegeverlauf und nicht handlungsanleitend dokumentierte Pflege­planungen aufweisen. Um dies zu vermeiden gibt es die Möglichkeit, vorgefertigte Dokumentations­­bausteine aus der digitalen Pflege­dokumentation auszuwählen und für die Pflegeplanung zu verwenden.


Analysen der digitalen Pflegedokumentation wiesen Zeit­einsparungen während des Doku­men­tations­­prozesses bei gleichzeitig gestiegener Anzahl dokumentierter Inhalte nach. Die gestiegene Anzahl dokumentierter Inhalte lässt folglich den Pflegeprozess besser nachvollziehen und greift somit die oben genannten Kritiken des MDK auf.


Durch ausformulierte Fragestellungen kann Zeit gespart und das Pflegepersonal unterstützt werden. Anamnesen aus Voraufenthalten können übernommen oder angepasst werden. Anamneseergebnisse können mit entsprechenden Pflegediagnosen verknüpft werden, die automatisch als Vorschläge in den Pflegeplan übernommen werden (vgl. Obendreit, 2011).


Aus pflegewissenschaftlichen Analysen ging aber auch hervor, dass es Defizite hinsichtlich fehlender Unterschriften, Daten und Eintragungen gibt. Die eindeutige Identifikation des Ausfüllenden spielt allerdings bei möglichen rechtlichen Ansprüchen eine bedeutende Rolle. Diese Probleme können durch Nachfrage- und Aufforderungsmechanismen der digitalen Akte gelöst werden (vgl. Kuratorium Deutsche Altershilfe 2013). 

 

Erfolgreiche Implementierung als größte Herausforderung 

Analog zur Dokumentation in Papierform wiesen vor allem die ersten digitalen Pflege­doku­menta&hytions­programme Mängel in der ausreichenden Abbildung des Pflegeprozesses auf. Grundsätzlich sollte keine Implementierung ohne gleichzeitige Optimierung der Pflegeprozesse erfolgen. Ansonsten besteht das Risiko von Implementierungen auf Basis intransparenter und nicht nachvollziehbarer Pflegeprozesse. Häufig wird als positiver Nebeneffekt bei der Einführung von EDV-Lösungen beobachtet, dass über Jahre eingefahrene Gewohnheiten und Arbeitsabläufe überarbeitet werden (vgl. Mayer, 2011).

 

Fazit

Die Realisation von Zeiteinsparungen ist nur durch umfangreiche Schulung des Personals an der elektronischen Patientenakte möglich. Ohne den sicheren und standardisierten Umgang mit der EDV-Lösung kann die eingeführte Maßnahme gegensätzliche negative Effekte auf den Zeitaufwand haben und alte papierbasierte Vorgehensweisen zeitsparender erscheinen lassen.


Zweifeln des Personals an der fehlenden physischen Verfügbarkeit und Bedenken vor der technischen Anfälligkeit der E-Akte sollte bei der Implementierung durch umfangreiche Sicher­heitsmaßnahmen zur Gewährleistung der Reliabilität des Systems begegnet werden (vgl. Debatein, Gocke 2011). Auch können implementierte IT-Systeme ihren vollen Nutzen erst bei vollständigem Wegfall der parallelen papierbasierten Prozesse entfalten (vgl. Debatein, Gocke 2011).


Werden diese kritischen Erfolgsfaktoren allerdings berücksichtigt, so bietet die Digitalisierung des gesamten Pflegeprozesses ein großes Potenzial an qualitativer Verbesserung der pflege­rischen Leistungen (vgl. Gulova, 2012). So können verschwendungsfreie und schlankere Prozesse in den pflegerischen Workflow integriert und damit bedarfs­orientierte Leistungs­erbringung, Führung durch Kennzahlen und Patienten­orientierung durch Zeitgewinne realisiert werden (vgl. NursIT Institut).


So wiesen Studien der Solothurner Spitäler AG nach Implementierung digitaler Pflegeprozesse eine erhöhte Dokumentations­qualität, qualitativ bessere Pflege­bedarfs­erfassungen und die Durchführung signifikant besserer Pflegemaßnahmen durch direkten Bezug auf entsprechende Pflegediagnosen nach. Dies resultierte in signifikant besseren Pflegergebnissen (vgl. Obendreit, 2011).

 


Literatur

  • „Pflege 4.0 – Ein schlechter Pflegeprozess der digitalisiert wird, ist ein schlechter, digitaler Prozess!” auf NursIT Institut Online

  • Gulova V. (2012): Pflegeinformatik- Die Rolle der Kommunikations- und Informationstechnologien (IKT) in der Gesundheits- und Krankenpflege, disserta Verlag Hamburg,

  • Debatin F., Gocke, P. (2011): IT im Krankenhaus - von der Theorie in die Umsetzung. Medizinisch wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.

  • Obendreit, M. (2011): Entwicklung und Implementierung der elektronischen Pflege­dokumentation der Solothurner Spitäler AG: Eine Erfolgsstory!?. Swiss medical Informatics.


zuletzt aktualisiert am 15.02.2017

Kontakt

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Jürgen Schwestka

Diplom-Kaufmann, CISA, Zertifizierter IT-Sicherheitsbeauftragter, Zertifizierter IT-Security-Auditor, IT-Auditor IDW, Zertifizierter Business Continuity Manager

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