Erfolgreich investieren in Brasilien

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zuletzt aktualisiert am 16. Juni 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

 

Wie schätzen Sie die derzeitige wirtschaftliche Lage in Brasilien ein?

Im vergangenen Jahr erholte sich die brasilianische Wirtschaft weiter von den Auswirkungen der Pandemie. Das brasilianische Bruttoinlandsprodukt hat im Jahr 2022 einen Wert auf BRL 9,9 Billionen erreicht, eine Steiger­ung von 2,9 Prozent, und näherte sich dabei zeitweise dem Wachstum von vor der Krise an.
 
Nach 100 Tagen der neuen Regierung Lula sind selbst einige frühere Befürworter des neuen Präsidenten skep­tisch geworden, denn es scheint, also ob der sehr knapp gewählte Amtsträger Lula in seiner insgesamt dritten Amtszeit überraschend für alle politischen Experten seine polarisierenden Wahlkampfparolen gegen allen politischen und gesellschaftlichen Widerstand durchdrücken will. Insbesondere Aussagen, die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Unabhängigkeit der Zentralbank deutlich, sowie die Rückgängigmachung von erfolgreichen Privatisierungen in Verbindung mit drastischem Ausbau von Staatsapparat sowie Kosten, sowie ferner die unrealistische Ankündigung einer gemeinsamen Währung mit Hochinflationsland Argentinien werden als deutliche Negativsignale aufgenommen. 
 
Ferner ist der linke Populist auf Basis von Beweismaterial in der Presse in den Zweifel geraten, ob er den „Sturm auf Brasilia“ im Januar zumindest grob fahrlässig mit seinen an ihn berichtenden Sicherheitsstab zugelassen hat, um ihn dann für drastische Maßnahmen gegen seine politischen Gegner zu nutzen. Selbst außenpolitisch irritiert Lula nach der verflogenen Anfangseuphorie – auch durch diverse deutsche Staats­be­suche – durch seine Russland und China Bekenntnisse. Brasilien-Insider sagen es sei beschlossene Sache, dass sofern Lula nicht von einem eher linken Diktatorgehabe auf einen versöhnlichen links-mitte Kurs einlenkt, er auf absehbare Zeit angeklagt wird und durch seinen als moderater Globalist & Demokraten geltenden Vize-Präsidenten ersetzt wird. 
 
Auch wegen der politischen Störgeräusche ist die Konjunktur außer Schwung gekommen. Das liegt auch an dem weltweiten höchsten Leitzins von derzeit 13,75 Prozent. Die brasilianische Zentralbank will den Leitzins nur senken, wenn deutliche Signale einer langfristigen Inflationssenkung gegeben sind. Die Regierung argu­men­tiert, dass es keinerlei Berechtigung gibt, die Zinsen auf diesem hohen Niveau zu halten und so Investitionen verhindert.
 
Für eine langfristige Inflationssenkung plant die Regierung zwei wichtige Reformen: neue Rahmenbedingungen für staatliche Ausgaben – sogenannte Arcobouço fiscal – und die Steuerreform. Beide Reformen werden von der Wirtschaft begrüßt, die Verabschiedung im Parlament ist jedoch für die Regierung schwierig, da sie keine Mehrheit hat und deshalb der Zustimmung der sogennanten Zentralparteien (Centrão) bedarf, die wiederum ohne Zugeständnisse nicht mit der Regierung stimmen wollen. Lula ist aber dafür bekannt, dass er bestech­en­de, politische Mittel hat die Stimmen für sich zu gewinnen.
 
Die Steuerreform sieht eine wesentliche Vereinfachung des komplizierten Steuersystems der indirekten Steuern vor und wird seit vielen Jahren diskutiert. Die Wichtigkeit dieser Reform ist unumstritten und sie wäre deshalb reif für eine Verabschiedung. Es scheint, dass die Fortsetzung der guten wirtschaftlichen Entwicklung von diesen beiden Reformen und einer politischen Mäßigung abhängt. 
 

Wie würden Sie das Investitionsklima in Brasilien beschreiben? Welche Branchen bergen großes Potenzial?

Die Kapitalzuflüsse ausländischer Investoren nach Brasilien nehmen unabhängig von der polarisierenden Politik weiter zu. Angesichts des internationalen Szenarios, das durch eine hohe Inflation und ein instabiles politisches Klima aufgrund des Krieges in der Ukraine gekennzeichnet ist, hat sich Brasilien zu einer attraktiven Alternative mit vielen Wachstumschancen entwickelt, insbesondere für langfristige und fortschrittliche In­ves­toren mit innovativen und neuen technologischen Ideen. Brasilien ist derzeit der Hotspot für die Um­schicht­ung von Investitionen und profitiert vom derzeitigen Abzug von Kapital aus Unternehmen, Branchen oder Regionen, die durch den Krieg oder die Auswirkungen der Sanktionen gegen russische Unternehmen negativ betroffen sind.
 
Die wichtigsten Branchen in Brasilien, wie die Agrarindustrie, die Eisen- und Stahlproduktion, die Auto­mobil­mon­tage, die Erdölverarbeitung und die Chemieproduktion bleiben attraktiv. Die technologiebasierten In­dus­trien waren in den letzten Jahren am dynamischsten, haben aber die traditionellen Industrien bisher nicht überflügelt. Brasilien gehört jedoch seit kurzem zu den fünf Volkswirtschaften mit der höchsten Gründungsrate weltweit und ist das einzige lateinamerikanische Land, das unter den zehn führenden globalen Einhorn-Märkten aufgeführt ist. Daher spielen Start-up-Unternehmen im Land eine immer wichtigere Rolle. Die größte Wachstumsbranche ist derzeit Erneuerbare Energie, wobei insbesondere Solar- sowie grüner Wasserstoff immense Chancen für Investoren sowie Unternehmer bieten. Brasilien positioniert sich neben dem Ernährer-Status auch als wichtiger Energie-Supplier für die Welt.
 
Aufgrund des internationalen Anstiegs der Rohstoffpreise und der Tatsache, dass sie der Hauptmotor der brasilianischen Exporte sind, können sie ihren Investoren Vorteile und gute Renditen bringen. Mit der Auf­wertung des Reals gegenüber dem Dollar werden Exporte für Brasilien in der gegenwärtigen Situation ten­denzi­ell rentabler. Der Krieg in der Ukraine lässt den Wert von Rohstoffen weltweit schwanken und wirkt sich auf viele osteuropäische Länder aus, die diese Waren liefern, was dem aktuellen brasilianischen Szenario einen gewissen Optimismus verleiht, denn obwohl es sich um eine eher geschlossene Volkswirtschaft handelt, wird die Produktion von Rohstoffen im Moment ohne größere Auswirkungen fortgesetzt. 
 
Das Rohstoffszenario ist derzeit unausgewogen, die Nachfrage übersteigt das Angebot, was einen möglichen Investitionsvorteil in Brasilien darstellt. Um diese hervorragenden Möglichkeiten nutzen zu können, ist es daher wichtig, dass sich Präsident Lula überzeugen lässt, seinen polemischen und wirtschaftsfeindlichen Kurs zu korrigieren.
 

Welchen Herausforderungen steht ein deutscher Unternehmer beim Engagement in Brasilien gegenüber?

Neben dem politischen Risiko stellen Wechselkursschwankungen nach wie vor eine der größten Heraus­for­der­ungen für Unternehmer dar, insbesondere für importierende Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, das Wechselkursrisiko an die brasilianischen Kunden weiterzugeben und somit Wechselkursverluste zu generieren. Eine realistische Produktpreisgestaltung, die alle Steuern und Währungsschwankungen berücksichtigt, scheint ein wichtiges Erfolgskriterium zu sein.
 
Brasilien hat nach wie vor eines der komplexesten Steuersysteme der Welt für indirekte Steuern, was deutsche Unternehmer bei ihrem Engagement in Brasilien berücksichtigen sollten. Die oben erwähnte Steuerreform würde den Unternehmen erhebliche Erleichterungen in der Verwaltung der Steuern bringen. Positiv zu ver­merken ist, dass Dividenden in Brasilien weiterhin steuerfrei ins Ausland ausgeschüttet werden können.
 
Für geplante Zukäufe in brasilianischen Unternehmen sollten deutsche Unternehmer in der Regel inter­dis­zi­pli­näre Berater hinzuziehen, um Risiken hinsichtlich der Qualität der Finanzinformationen sowie der steuer-, arbeits-, umweltrechtlichen Risiken der letzten fünf Jahre zu vermeiden.
 

Welche Auswirkungen hat das politische Umfeld auf deutsche Unternehmer?

Brasiliens Demokratie hat sich auch in turbulenten Zeiten als stabil erwiesen. Ein demokratisches Umfeld ist für deutsche Unternehmen von großer Bedeutung, insbesondere nach der Erfahrung in Russland wie schnell Investitionen verloren sein können. Die beiden oben erwähnten Reformen wären wichtige Signale an die Wirtschaft.

 

Wie wird sich aus Ihrer Sicht Brasilien weiterentwickeln?

Als größtes und wirtschaftlich bedeutendstes Land Südamerikas könnte Brasilien einer der Nutznießer des derzeitigen Krieges in Europa sein. Die brasilianische Wirtschaft wird von dem aktuellen Trend steigender Energie- und Rohstoffpreise profitieren. Insbesondere Branchen wie Erneuerbare Energien bieten ein riesiges Potenzial für Brasilien, das nun auch zunehmend – auch in Zusammenarbeit mit internationalen Unternehmen – erschlossen wird. Auch die aktuellen geopolitischen Verschiebungen und die zunehmende Attraktivität für ausländische Investitionen werden das Gewicht Brasiliens in der Welt erhöhen. Brasilien ist und bleibt „kein Land für Anfänger“, bietet aber gleichzeitig für fortgeschrittene Investoren und Unternehmer hervorragende, langfristige Wachstumspotenziale. 

 Kulturelle Besonderheiten in Brasilien

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Philipp Klose

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