Das neue Lieferkettengesetz – Herausforderungen und Chancen für die deutsche Wirtschaft

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veröffentlicht am 15. September 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Seit 2021 hat auch Deutschland ein eigenes Lieferkettengesetz und folgt damit dem internationalen Trend zu mehr Transparenz und Verantwortung in seinen internatio­nalen Lieferketten. Die Anforderungen des neuen Gesetzes werden die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren jedoch vor erhebliche Herausforderungen stellen.


Unter dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sind in Deutschland ansässige Unternehmen künftig ab einer bestimmten Anzahl von Beschäftigten (2023: ab 3.000 Mitarbeiter; 2024: ab 1.000 Mitarbeiter) rechtlich dazu verpflichtet, ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte und grundlegender Um­welt­stan­dards in ihren direkten Lieferketten und damit erstmalig auch außerhalb ihres eigenen Geschäfts­bereichs nachzukommen.

Dazu sollen sie sich nach dem Willen des Gesetzgebers in der Lieferkette insbesondere mit den folgenden fünf Kernelementen der Sorgfaltspflicht befassen:

  1. Verantwortung übernehmen – durch eine Aufnahme der Achtung von Menschenrechten in die Un­­ter­­neh­mens­­­phi­lo­so­phie;
  2. Risiken analysieren – durch die Beantwortung der Frage, wo im individuellen Geschäftsmodell potenzielle oder tatsächliche Menschenrechtsverletzungen drohen;
  3. Risiken minimieren – durch das Ergreifen von Maßnahmen zur Verhinderung von Men­­schen­­rechts­­ver­­letz­ungen bzw. deren Beendigung, falls Verletzungen bereits eingetreten sind, sowie eine laufende Wirksamkeits­kontrolle;
  4. Informieren und Kommunizieren – gegenüber allen relevanten Stakeholdern; und
  5. Beschwerden ermöglichen – durch das Einrichten eines transparenten Verfahrens, das allen Stakeholdern ermöglicht, ihre Rechte einzufordern.


Die Anforderungen des LkSG sind international anschlussfähig und orientieren sich am Sorgfaltsstandard der Vereinte Nationen Leitprinzipien für Menschenrechte, auf denen auch schon der deutsche Nationale Ak­tions­plan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 aufsetzte.

Obwohl das Gesetz in seiner aktuellen Fassung lediglich eine Bemühungspflicht begründet und für die ver­pflich­te­ten Unternehmen weder eine Erfolgspflicht noch eine Garantiehaftung für die Einhaltung von Men­schen­rech­ten in der Lieferkette vorsieht, stellen die Anforderungen des LkSG deutsche Unternehmen vor große Herausforderungen. Insbesondere der deutsche Mittelstand wird aufgrund seines traditionell hohen Wert­schöpfungsanteils in der Lieferkette und seiner stark globalisierten Geschäftsmodelle, wenn nicht direkt, dann zumindest mittelbar flächendeckend betroffen sein.

Eine solide Vorbereitung auf die Einhaltung der neuartigen Verkehrssicherungspflichten außerhalb des eigenen Geschäftsbetriebs wird in vielen deutschen Unternehmen zunächst die systematische Aufbereitung sämtlicher Lieferantendaten zu Zwecken der Analyse und Bewertung von individuellen Lieferkettenrisiken bedeuten. Dementsprechend hat das in Deutschland mit dem gesetzlichen Auftrag zur Kontrolle der Einhaltung des LkSG betraute Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in seiner ersten Handreichung zur Umsetzung einer Risikoanalyse nach den Vorgaben des LkSG auch die Schaffung von Transparenz zu Art und Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit und Geschäftsbeziehungen in der Lieferkette als grundlegende Voraussetzung für die Umsetzung einer angemessenen Risikoanalyse im Sinne des Gesetzes festgestellt. Aufgrund der schieren Masse der entsprechend aufzubereitenden Daten wird eine solche Transparenz aber kaum ohne die frühzeitige Implementierung einer geeigneten Software auskommen. Das Aufsetzen softwaregestützter Prozesse dürfte verpflichtete Unternehmen außerdem bei der fortlaufenden Dokumentation, aber auch bei der Einhaltung der Prüfungs- und Berichtpflichten unter dem neuen Gesetz unterstützen, die künftig mindestens einmal im Jahr, ggf. aber auch anlassbezogen (z.B. nach Hinweis über das Beschwerdesystem) zu erfüllen sind.

Beim Umgang mit etwaigen Lieferkettenrisiken sieht das LkSG grundsätzlich eine abgestufte Verantwortlichkeit vor. Während im eigenen Geschäftsbereich und nun auch in den Beziehungen zu unmittelbaren Zulieferern eine uneingeschränkte Sorgfaltspflicht zum Tragen kommt, gilt gegenüber mittelbaren Zulieferern eine auf die Fälle limitierte Sorgfaltspflicht, in denen das verpflichtete Unternehmen bereits Kenntnis von relevanten Menschen­rechtsverstößen durch den betreffenden Zulieferer hat. In seiner vorstehend genannten Handreichung hat das BAFA klargestellt, dass eine angemessene Risikoanalyse der verpflichteten Unternehmen die Einführung systematischer und nachvollziehbarer Prozesse zur Ermittlung, Gewichtung und Priorisierung von Lieferketten­risiken unerlässlich ist. Bei der Ausgestaltung und Methodenwahl sollen den verpflichteten Unternehmen dann aber, stets unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit, ein gewisser Ermessensspielraum zustehen. In der Praxis wird damit künftig entscheidend sein, ob das verpflichtete Unternehmen nachweisbar alles Erforderliche und Zumutbare getan hat, um eine Gefährdung und Verletzung geschützter Rechtsgüter in der Lieferkette zu ver­meiden. Bei ressourcenintensiven Unternehmen mit großer Wertschöpfung in Entwicklungsländern wird damit ein strengerer Maßstab anzulegen sein als bei Dienstleistungsunternehmen mit rein europäischen Zulieferern.

Zusätzliche Dynamik gewinnt das Thema noch dadurch, dass auch auf europäischer Ebene seit geraumer Zeit Inhalte für eine europäische Lieferkettenrichtlinie diskutiert werden. Mittlerweile liegt der formale Le­gis­lat­iv­vor­schlag der EU-Kommission vor und lässt erwartungsgemäß einen wesentlich erweiterten Anwendungs- und Haftungsbereich für europäische Unternehmen erkennen, was auch in Deutschland perspektivisch zu einer Verschärfung des Rechtsrahmen führen dürfte.

Doch wenngleich die Anforderungen des Lieferkettengesetzes vielen Unternehmen derzeit als unübersichtlich und kaum beherrschbar erscheinen, birgt der neue, künftig wohl europaweit gültige Rechtsrahmen für ver­ant­wort­liches unternehmerisches Handeln in der Lieferkette, auch großes Potenzial. Zum einen wird ein ein­heit­licher Sorgfaltsstandard die aktuell in zahlreichen Mitgliedsstaaten und auch zu verschiedensten Teilaspekten von Lieferketten in der EU bereits existierenden Gesetze zu einem einheitlichen Rechtsrahmen zu­sammen­führen und damit einen fairen, rechtssicheren Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt fördern. Zum anderen schlagen sich in der deutschen und perspektivisch auch in der europäischen Lieferketten­gesetzgebung die bei­den Mega-Trends der letzten Jahre nieder: Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Deutsche Unternehmen haben die Gelegenheit, hier an der Schaffung eines vielleicht sogar branchenübergreifenden Standards für einen zu­kunftsfähigen Welthandel mitzuwirken. Auch vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Risiken für das internationale Geschäft, von dem besonders die deutsche Wirtschaft stark profitiert, tun deutsche Unterneh­men gut daran, möglichst bald ein effektives global einsetzbares Risiko­managementsystem zu eta­blieren – auch, aber nicht nur in Bezug auf die neuen Sorgfaltspflichten des LkSG.

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