Die Gefahr einer Sanktion ist gegeben

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zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2023 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Das Einhalten der Vorgaben des Lieferkettengesetzes ist wichtig, wenn Probleme sicher vermieden werden sollen. Denn die Möglichkeit von Dritten, Prozesse zu führen, wirft viele Fragen auf. Das Lieferkettengesetz (Gesetz über die unternehmerischen Sorg­falts­pflich­ten in Lieferketten) ist in aller Munde. Doch wird die tatsächliche Trag­wei­te des Gesetzes von allen Beteiligten richtig eingeschätzt?


Allenthalben wird betont, dass das Lieferkettengesetz zu keiner zivilrechtlichen Haftung führt. Dabei wird auf die Vorschrift des § 3 Absatz 3 Satz 1 Lieferkettengesetz verwiesen. Diese Vorschrift besagt, dass eine Ver­letzung der Pflichten aus dem Lieferkettengesetz keine zivilrechtliche Haftung begründet. Allerdings besagt der nächste Satz der Vorschrift, dass eine unabhängig vom Lieferkettengesetz begründete zivilrechtliche Haftung unberührt bleibt. Das bedeutet bei genauer Betrachtung nur, dass zwei Dinge klargestellt werden: Zum einen, dass die Verletzung einer Vorschrift des Lieferkettengesetzes allein keine Haftung begründet, und zum an­de­ren, dass eine bereits bestehende Haftung (aufgrund anderer Vorschriften als dem Lieferkettengesetz) durch den „Haftungsausschluss“ des Lieferkettengesetzes nicht beseitigt wird.

Scheinbar ist hierdurch klargestellt, dass für Unternehmen in zivilrechtlicher Hinsicht keine zusätzlichen Haftungsrisiken aufgrund des Inkrafttretens des Lieferkettengesetzes am 1. Januar 2023 entstanden sind.

Doch solch ein nicht weiter reflektierter Schluss übersieht zwei wesentliche Punkte:


Zum einen sieht das Lieferkettengesetz in § 11 eine besondere Prozessstandschaft vor. Um die Tragweite dieser Regelung zu verstehen, muss man sich zunächst vor Augen führen, was eine Prozessstandschaft ist. Grund­sätz­lich können Prozesse nur von Parteien geführt werden, die die Verletzung eigener Rechte geltend machen. Wenn ein Unternehmen von seinem Zulieferer nicht rechtzeitig beliefert wird, kann das zum Beispiel grund­sätz­lich nur vom nicht belieferten Unternehmen gerügt werden, nicht von dessen Branchenverband. Es gilt also der Grundsatz, dass jeder für die Wahrung seiner Rechte selbst zuständig ist. Dafür gibt es viele Gründe. Zum Bei­spiel verfügt nur das nicht belieferte Unternehmen über die vollständige Kenntnis der Umstände, aus denen sich seine Rechte ergeben. Auch verbietet es das Gesetz, das worum gestritten wird, mehrfach geltend zu machen. Ist ein Prozess erst einmal anhängig, ist es unzulässig, ihn gleichzeitig oder nach seiner rechts­kräf­ti­gen Entscheidung noch einmal geltend zu machen.

Eine Prozessstandschaft gibt einer anderen Person das Recht, für die verletzte Person zu handeln. Sie er­mäch­tigt den Prozessstandschafter, die Rechte der verletzten Person im eigenen Namen, also so, als sei sie selbst betroffen, geltend zu machen. Der Kreis derer, die die Verletzung von Rechten aus dem Lieferketten­gesetz geltend machen können, wird also erweitert. Hierfür gibt es aus Sicht des Gesetzgebers gute Gründe:

Aufgrund der weltweit verflochtenen Handelsbeziehungen ist es heute allgemein bekannt, dass effektive Rechts­­durch­setzung auch durch faktische Erschwernisse verhindert werden kann. Eine solche faktische Er­schwerung ist zum Beispiel gegeben, wenn Arbeiter in einem Land außerhalb der EU die Verletzung ihrer Rechte in der EU geltend machen wollen. Die Führung eines Rechtsstreits im Ausland ist noch aufwendiger als die Führung eines Rechtsstreits im eigenen Land. Denn zum einen muss in einer fremden Rechtsordnung ge­handelt werden, es fallen erhebliche Reiseaufwendungen an und – hier liegt wohl die gravierendste Er­schwer­nis – die Führung eines Rechtsstreits ist auch darüber hinaus zeit- und kostenintensiv.

Zum anderen betont die Formulierung des § 3 Abs. 3, dass nur die Haftung in zivilrechtlicher Hinsicht nicht durch das Gesetz begründet wird. Die Möglichkeit des Festsetzens von Bußgeldern sieht das Gesetz dagegen ausdrücklich vor und auch jegliche anderen Sanktionen des Verwaltungs- und Strafrechts bleiben durch das Gesetz unberührt. Auch sie können zu Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens führen, wenn Bußgelder festgesetzt werden oder zum Beispiel eine Abschöpfung – korrekt eine Einziehung von Taterträgen – in Betracht kommt. Korrekt ist, dass diese Folgen voraussetzen, dass der Verstoß gegen die betreffenden Vorschriften zunächst festzustellen ist – aber das tut der Tatsache keinen Abbruch, dass solche finanziellen Folgen ein­tre­ten können.

Die hier im Vordergrund der Betrachtung stehende Prozessstandschaft aus dem Lieferkettengesetz steht unter dem Vorbehalt des § 11 Abs. 2 Lieferkettengesetz. Das bedeutet, dass nur solche Einheiten – entweder Ge­werk­schaf­ten oder Nichtregierungsorganisationen (NGO) – als Prozessstandschafter auftreten dürfen, die in Deutsch­land einen Sitz haben und die sich weder gewerbsmäßig noch nur vorübergehend dafür einsetzten, die Menschenrechte im nationalen Recht eines Staates zu realisieren. Auf den Punkt gebracht soll der Kom­mer­zi­alisierung der Prozessführung ein Riegel vorgeschoben werden. Die Regelung ist insoweit in gewissem Maße der Regelung zur Musterfeststellungsklage in der deutschen Zivilprozessordnung angeglichen:

Nur dann, wenn die klagende Einheit auf gewisse Dauer angelegt ist und nicht gewerbliche Zwecke verfolgt, soll sie prozessführungsbefugt sein. So wird der Gewerblichkeit der Prozessführung, also dem Führen von Prozessen ausschließlich mit dem Zweck der Erwirtschaftung von Gewinnen, vorgebeugt. Dieses Ziel liegt hier noch mehr auf der Hand als bei der Musterfeststellungsklage. Denn im Falle der Verletzung von Menschen­rechten wäre das Dulden einer Gewinnerzielung durch Dritte infolge des unerlaubten Handels betroffener Unternehmen inakzeptabel. Die Prozessführer würden dann nur aufgrund der Ausbeutung der Betroffenen florieren. Ob die Voraussetzungen für eine zulässige Prozessstandschaft vorliegen, ist im jeweiligen Prozess vom Gericht zu beurteilen, das mittlerweile auf ergangene Entscheidungen zur Prozessführungs­befugnis bei Musterfeststellungsklagen zurückgreifen kann. Voraussetzung für die Prozessführungsbefugnis ist, dass die betreffende Einheit ihren Sitz auf gewisse Dauer in Deutschland hat. Eine leicht festzustellende Tatsache. Ob diese Voraussetzung allerdings auf Dauer zu halten sein wird, also ob das Gesetz hier zulässigerweise auf einen Sitz in Deutschland bestehen darf, könnte in Zukunft zu Streitigkeiten führen. Denn in Zeiten der EU ist eine Ungleichbehandlung der Unionsbürger zu vermeiden.

Das Lieferkettengesetz gibt vor allem deutschen Gewerkschaften die Möglichkeit, zumindest mittelbar die Sicherung der Rechte ihrer eigenen Mitglieder durchzusetzen. Denn für ihre Prozessstandschaft ist ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 19.April 2021 (Bundestagsdrucksache 19/28649, S. 52) und einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 31. Juli 2008 – I ZR 21/06) ausreichend, wenn ihnen konkludent, also schlüssig, von Betroffenen die Verteidigung ihrer Menschenrechte anvertraut wurde. Geschützte Menschenrechte sind oftmals in Übereinkommen, die Arbeitsbedingungen umfassend geregelt. Im Falle von Verletzungen von Menschenrechten der Betroffenen in Lieferketten könnten einige Organisationen also nicht nur das Interesse haben, fremde Rechte, nämlich die der Betroffenen in der Lieferkette zu schützen, sondern hierdurch gleichzeitig mittelbar eigene Rechtspositionen ihrer Mitglieder zu schützen. Im Rahmen eines solchen Prozesses würde den beklagten Unternehmen nicht nur ein kostenin­tensi­ver Prozess drohen, sondern auch ein erheblicher Verlust ihres Ansehens. Beides sind Positionen, die durchaus zivilrechtlichen Wert haben und die zudem auch vom Zivilrecht geschützt werden.


Insofern ist der Vorbehalt des Gesetzes in § 3 Absatz 3 Satz 1 des Lieferkettengesetzes, wonach eine zivilrechtliche Haf­tung durch das Lieferkettengesetz nicht begründet werden soll, mit Vorsicht zu verstehen. Denn zutreffend dürfte sein, dass Schadensersatzforderungen der Betroffenen allein aufgrund des Lieferkettengesetzes wohl nicht eintreten werden. Dennoch kann durch das Gesetz den Handelnden durchaus zivilrechtlicher Schaden    – durch die Kosten der Prozessführung – und ein zu erwartender Imageverlust entstehen.

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