Unterschiede zwischen italienischem und deutschem Recht bei negativem Eigenkapital und Unterkapitalisierung von GmbHs

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​​​​​​​​​​​​​​​​​ veröffentlicht am 9. April 2024 | Lesedauer ca. 9 Minuten


Bei der Gründung einer italienischen GmbH (Italien: „S.r.l.“) entspricht der Wert ihres Eigenkapitals (die Differenz zwischen ihren Aktiva und Passiva) in der Regel dem Wert ihres Stammkapitals. Der Wert des Eigenkapitals steigt, wenn das Unternehmen Gewinne erwirtschaftet und infolge einer außerordentlichen Kapitalerhöhung.




Es kann jedoch auch der Fall eintreten, dass der Wert des Eigenkapitals aufgrund von Betriebsverlusten sinkt, so dass der Wert des Eigenkapitals niedriger ist als der Wert des Aktienkapitals des Unternehmens. 
In einem solchen Fall ist das Unternehmen unterkapitalisiert. Es besteht die Gefahr, dass das verfügbare Eigenkapital nicht ausreicht, um die Ziele des Unternehmens zu erreichen oder dass das Unternehmen Insolvenz anmeldet.

Um Situationen wie die oben beschriebene zu vermeiden, sehen die Rechtsordnungen mehrerer Staaten Mechanismen vor, die Geschäftsführer dazu verpflichten, die Aktionäre zu warnen. Diese können dann die notwendigen Schritte zur Rekapitalisierung der Gesellschaft, zum Ausgleich der Verluste oder zur Änderung der Unternehmensziele, zur Umschichtung des Gesellschaftskapitals oder zur Umwandlung der Gesellschaftsform (z.B. von einer Aktiengesellschaft in eine Personengesellschaft) unternehmen.

Der vorliegende Beitrag zeigt die Unterschiede zwischen den Vorschriften des italienischen und des deutschen GmbH-Rechts in Bezug auf die Regulierung von Unterkapitalisierungssituationen auf.

Rechtsfolgen der Unterkapitalisierung des italienischen GmbH (Italien: „S.r.l.“) nach italienischem Recht 

Gemäß Artikel 2482-bis des italienischen Zivilgesetzbuches (Italien: „Codice civile") gilt, wenn bei einer italienischen GmbH (Italien: „S.r.l.“) der Verlust des Stammkapitals 1/3 übersteigt (d.h. wenn der Wert des Eigenkapitals weniger als 2/3 des gezeichneten Kapitals beträgt), sollen die Direktoren unverzüglich die Aktionärsversammlung einberufen, um geeignete Maßnahmen zu ergreifen.

Zu diesem Zweck verfassen die Geschäftsführer einen Bericht über die Bilanz, der nach den Kriterien des Jahresabschlusses (d.h. mit Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang) erstellt wird. Dieser Bericht muss der Aktionärsversammlung vorgelegt werden und mindestens acht Tage vor dem Termin der Versammlung zusammen mit den Bemerkungen des Rechnungsprüfungsausschusses oder des Abschlussprüfers, sofern dieser bestellt wurde, übermittelt werden. 

Die einberufende Gesellschafterversammlung hat drei Möglichkeiten: i) eine sofortige Herabsetzung des Stammkapitals zu beschließen, wobei der entsprechende Wert an den aktuellen Wert infolge des Verlustes angepasst wird; b) den Verlust ganz oder teilweise (durch Herabsetzung unter 1/3 des gezeichneten Stammkapitals) durch Gesellschafterabschreibungen zu beseitigen; c) den Verlust auf neue Rechnung vorzutragen, wenn man der Auffassung ist, dass er durch Gewinne des Folgejahres gedeckt werden kann. Ein Sonderfall liegt vor, wenn durch den Verlust von mehr als 1/3 des Aktienkapitals dieses unter das gesetzliche Minimum sinkt. In diesem Fall müssen die Geschäftsführer unverzüglich die Gesellschafterversammlung einberufen, um die Herabsetzung des Stammkapitals zu beschließen und es gleichzeitig auf einen Betrag zu erhöhen, der nicht unter dem gesetzlich festgelegten Mindestbetrag liegt oder alternativ die Umwandlung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in eine andere Gesellschaft beschließen (Artikel 2482-ter des italienischen Zivilgesetzbuches - Italien: „Codice civile"). 

Darüber hinaus wurde in einer Reihe von Rechtsvorschriften festgelegt, dass Artikel 2482-ter des italienischen Zivilgesetzbuches auf eine ganze Reihe von Fällen nicht anwendbar ist (einvernehmlicher Vergleich bei Unternehmenskrisen, Vergleich mit Gläubigern und Umschuldungsvereinbarungen, Neugründungen und innovative KMU). Im Wesentlichen sieht das italienische Recht eine Reihe verbindlicher Verhaltensweisen vor, die die Direktoren und Aktionäre der italienischen GmbH (Italien: „S.r.l.“) einhalten müssen, um der Unterkapitalisierung des Unternehmens zu begegnen. Einerseits sind die Direktoren verpflichtet, eine Aktionärsversammlung einzuberufen, wenn der Verlust des Aktienkapitals ein Drittel übersteigt, und einen Bericht über die Eigenkapitalsituation der Gesellschaft auf der Grundlage der für die Erstellung des Jahresabschlusses verwendeten Rechnungslegungskriterien zu erstellen (ohne die Möglichkeit, weitere Bewertungen zu beschließen, die andere Aspekte wie die Aussicht auf die Fortführung des Unternehmens in den Folgejahren berücksichtigen). Andererseits steht den Aktionären selbst ein vom Gesetzgeber vorgegebenes Spektrum an Entscheidungen zur Verfügung, das von der Deckung der genannten Verluste über die Herabsetzung des Aktienkapitals (ggf. mit gleichzeitiger Erhöhung über das gesetzliche Minimum hinaus) bis hin zur Liquidation oder Umwandlung des Unternehmens reicht. All dies zielt darauf ab, den Fortbestand des Unternehmens zu gewährleisten, der in einer Situation mit negativem Eigenkapital gefährdet wäre, da das Unternehmen in diesem Fall möglicherweise nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um seinen Verpflichtungen nachzukommen oder alle Gläubiger zu schützen. Es ist zu beachten, dass das Vorhandensein eines negativen Eigenkapitals die Geschäftsführer nicht davon entbindet, das oben beschriebene Verhalten an den Tag zu legen, auch wenn ein Gesellschafterdarlehen vorhanden ist, das die Verbindlichkeit potenziell auf Null oder jedenfalls unter die oben genannte "Alarmschwelle" senken kann. Es trifft zwar zu, dass die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens gegenüber allen anderen Schulden gesetzlich nachrangig ist (Artikel 2467 und 2497-quinquies des italienischen Zivilgesetzbuches – Italien („Codice civile"), aber es handelt sich dennoch um ein Darlehen. Wie der Kassationsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, führt die Nachrangigkeit des Gesellschafterdarlehens nicht zu einer "Umqualifizierung" des Darlehens in eine Einlage mit Ausschluss des Rückzahlungsanspruchs, sondern betrifft (nur) die Reihenfolge der Befriedigung der Forderungen (siehe, ex multis, Zivilkassation, Abschnitt I, Beschluss Nr. 30435 vom 17/10/2022). Das Gesellschafterdarlehen ist daher in die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzubeziehen und trägt somit zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß Art. 5 des Konkursgesetzes (jetzt Art. 2 lit. b) der Gewerbe- und Insolvenzordnung) bei. 

Rechtsfolgen der Unterkapitalisierung der deutschen GmbH (die italienische S.r.l.) nach deutschem Recht

Bei der Bewältigung von Situationen der Unterkapitalisierung verfolgt das deutsche Recht einen etwas anderen Ansatz als das italienische Zivilgesetzbuch (Italien: „Codice civile“).

Nach § 49 Abs. 3 GmbHG sind die Geschäftsführer verpflichtet, unverzüglich eine außerordentliche Gesellschafterversammlung einzuberufen, wenn die Jahresbilanz oder eine im Laufe des Geschäftsjahres erstellte Bilanz einen Verlust von mindestens der Hälfte des Stammkapitals ausweist. Ungeachtet des  Wortlauts der Bestimmung (die sich nur auf das Grundkapital bezieht) sind die Direktoren nach herrschender Meinung verpflichtet, die Hauptversammlung einzuberufen, wenn das Nettovermögen der Gesellschaft nicht mehr als die Hälfte des Grundkapitals deckt. Der Verweis auf das Nettovermögen ähnelt daher dem italienischen Recht. 

Auch der Verweis auf die Bilanz oder Zwischenbilanz ist nicht wörtlich zu nehmen, in dem Sinne, dass eine Bilanz nicht existieren oder erstellt worden sein muss. Nach der herrschenden Meinung muss der Geschäftsführer nämlich die Gesellschafterversammlung einberufen, wenn er von einem Verlust der Hälfte des Gesellschaftskapitals erfährt, auch ohne, dass eine Zwischenbilanz genehmigt oder erstellt wurde (in diesem Sinne spricht man von der so genannten "Bilanz im Kopf des Geschäftsführers").

Das deutsche Recht unterscheidet sich grundlegend vom italienischen Recht in der Art und Weise, in der das Eigenkapital ermittelt wird. Deutsche Verwalter sind in erster Linie verpflichtet, die Unternehmensfortführung zu prüfen. Denn nach deutschem Recht ist bei der Bewertung der in der Jahresbilanz angesetzten Vermögensgegenstände und Schulden von der Fortführung des Unternehmens auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Umstände entgegenstehen (sog. Fortführungsprognose, § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB).
Wenn also die Geschäftsführung im Rahmen der vorgeschriebenen Prüfung nach § 49 Abs. 3 GmbH die Fortführung des Unternehmens und des Geschäftsbetriebs bejaht, kann der Wert des Eigenkapitals der Gesellschaft entsprechend ermittelt werden, indem der Berechnung Fortführungswerte zugrunde gelegt werden (in diesem Fall gelten die Vorschriften der §§ 252a-256 HGB). Ergibt die Prüfung der Geschäftsführung hingegen eine negative Fortführungsprognose, muss die Geschäftsführung das Eigenkapital auf der Grundlage von (niedrigeren) Liquidationswerten ermitteln. Die Wahl, welche Werte (Fortführung oder Liquidation) der Eigenkapitalberechnung zugrunde zu legen sind, ist nicht willkürlich, sondern hängt wiederum von genauen Kriterien ab. Hat das Unternehmen in der Vergangenheit dauerhaft Gewinne erwirtschaftet, kann es problemlos auf finanzielle Mittel zurückgreifen und es droht keine Überschuldung. Dann spricht man bereits von einer "impliziten" Fortführungsprognose (sog. implizite Fortführungsprognose). Fehlt hingegen eine der vorgenannten Voraussetzungen oder liegen gegenteilige Anhaltspunkte vor, so ist neben dem Nachweis, dass sich das Unternehmen nicht in einer Situation befindet, für die eine Insolvenzantragspflicht besteht, auch „explizit“ zu prüfen, ob Fortführungswerte angenommen werden können (sog. explizite Fortführungsprognose). In solchen Fällen muss ein Finanzplan und ein Geschäfts- oder Sanierungsplan für die nächsten 12 Monate ab dem Bilanzstichtag vorgelegt werden. 

Darüber hinaus sind bei der Erstellung des Jahresabschlusses genaue Angaben zu möglichen Unsicherheiten und Risiken zu machen, die Zweifel an der Fortführungsprognose aufkommen lassen könnten. Befindet sich das Unternehmen in einer Krisensituation, ist es außerdem verpflichtet, den Jahresabschluss innerhalb kurzer Zeit nach Ende des Geschäftsjahres aufzustellen. Ein weiterer wichtiger Unterschied zum italienischen Recht besteht darin, dass es keine genauen Vorgaben gibt, welche Beschlüsse die nach § 49 Abs. 3 GmbHG einberufene Gesellschafterversammlung zu fassen hat, wenn die Geschäftsführer tatsächlich eine Verringerung des Eigenkapitals unter die Hälfte des Stammkapitals feststellen und deshalb die Gesellschafter einberufen. Darüber hinaus können die Gesellschafter selbst auf die Einberufung verzichten, wenn sie den Umstand bereits kennen und ausdrücklich auf die Einberufung verzichten (was z.B. der Fall wäre, wenn alle Gesellschafter gleichzeitig Geschäftsführer der Gesellschaft sind und aufgrund dieser Stellung über die finanzielle Situation der Gesellschaft informiert sind). Eine wesentliche Abweichung vom italienischen Recht besteht auch in Bezug auf die Rolle, die die Finanzierung durch die Gesellschafter im Zusammenhang mit den Verbindlichkeiten eines Unternehmens spielt. Im deutschen Recht wird diese Finanzierung nämlich nicht wie jede andere Finanzierung betrachtet. Denn im Gegensatz zu anderen Kreditgebern kann der Gesellschafter, der mit der Gesellschaft einen Finanzierungsvertrag abschließt, gerade durch seine Rolle als Gesellschafter erheblichen Einfluss auf die Geschäfte der Gesellschaft ausüben. Aus diesem Grund werden Gesellschafterdarlehen im deutschen Recht je nach Fall entweder als tatsächliches Darlehen oder als Kapitaleinlage betrachtet. Insbesondere sieht das deutsche Recht vor, dass im Falle einer Insolvenz die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen (vorbehaltlich von Ausnahmen) Vorrang vor allen anderen Forderungen hat (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Allerdings werden Gesellschafterdarlehen, deren Rückzahlung gegenüber allen anderen Forderungen nachrangig ist, bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft nicht als Verbindlichkeiten, sondern als Einlage in die Gesellschaft berücksichtigt (§ 19 Abs. 2 InsO).

Schlussfolgerungen 

Die italienischen Rechtsvorschriften dienen in erster Linie dem Schutz der Gläubiger, indem sie die Rekapitalisierung des Unternehmens, die Liquidation oder die Umwandlung des Unternehmens vorschreiben, und zwar bereits in einem Stadium, in dem lediglich buchhalterische Daten vorliegen, die nicht unbedingt auf den tatsächlichen Gesundheitszustand des Unternehmens schließen lassen und unabhängig davon, ob das Unternehmen über umfangreiche Finanzmittel der Anteilseigner verfügt, die potenziell die Vermögensverluste ausgleichen können. Dadurch werden zwar die Gläubiger besser geschützt, aber die strenge Gesetzgebung bringt auch höhere Kosten für die Unternehmen mit sich. Die Rechnungslegungsdaten geben nicht immer Aufschluss über den tatsächlichen Gesundheitszustand eines Unternehmens (so kann es z. B. Vermögenswerte geben, die nicht bilanziert werden können, die es dem Unternehmen aber ermöglichen würden, mit derselben Finanz- und Vermögensstruktur weiterzumachen). Aber auch im letzteren Fall verpflichtet das italienische Recht die Aktionäre, eine Kapitalerhöhung vorzunehmen oder Kapital an die Gesellschaft zu binden, das im Hinblick auf den Finanzbedarf der Gesellschaft überflüssig ist.

Im Gegensatz dazu bietet das deutsche Recht, das die Bewertung des Nettovermögens der Gesellschaft nach dem Grundsatz der Unternehmensfortführung zulässt, eine größere Flexibilität und ermöglicht es, in einer Reihe von Situationen, in denen das italienische Recht stattdessen eine Kapitalaufstockung vorschreiben würde, mit einem negativen Eigenkapital zu arbeiten (und zwar ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens, das gegenüber anderen Krediten nachrangig ist, bei der Feststellung der möglichen Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft nicht als Verbindlichkeit, sondern als Eigenkapitalzuführung angesehen wird). Diese Faktoren ermöglichen es insbesondere den mit einem Mindeststammkapital organisierten Kapitalgesellschaften, bei denen Verluste von mehr als der Hälfte des Stammkapitals keine Seltenheit sind, ihre Tätigkeit fortzusetzen. Andererseits muss die Anwendung der Kriterien für die Geschäftskontinuität stets überprüft werden. Für Unternehmen mit Risiko- oder Unsicherheitsfaktoren verlangen der deutsche Gesetzgeber und die Rechtsprechung detailliertere Bewertungen und umfassendere Berichte von deutschen Verwaltern sowie eine schnellere Erstellung der Jahresabschlüsse.

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