Betriebsratswahlen 2022 mittels reiner Briefwahl – der Einzelfall entscheidet weiterhin

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veröffentlicht am 1. Februar 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten

   
Die regulären Betriebsratswahlen stehen bevor. Nicht zuletzt aufgrund der mit der Pandemie einhergehenden Einschränkungen und der fortbestehenden Homeoffice-Pflicht stellen sich Arbeitgeber und die zu den Betriebsratswahlen Einladenden die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Betriebsratswahlen 2022 möglicherweise vollständig kontaktlos per Briefwahl durchgeführt werden können. Denn für die Betriebsratswahlen gilt der Grundsatz der persönlichen Stimmabgabe vor Ort im Wahlraum. Nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen kann die Stimmabgabe mittels Briefwahl zulässig sein. Die Ausnahmeregelung berechtigt also nicht zur generellen Durchführung der Betriebsratswahl durch eine reine Briefwahl.

 

  

  

 

Die gesetzlichen Regelungen zur Briefwahl

Die gesetzlichen Regelungen zur Briefwahl sind in § 24 der Wahlordnung (WO) zu finden. Wie in unserem Artikel zur Änderung der Wahlordnung bereits dargestellt, war auch diese Vorschrift von einer Novellierung im Oktober 2021 betroffen.

 

Die Briefwahl stellt eine rechtfertigungsbedürftige Ausnahme zur persönlichen Stimmabgabe bei der Betriebsratswahl dar und ist damit nur unter engen Voraussetzungen möglich. So können nur wahlberechtigte Arbeitnehmer die Briefwahl verlangen, die zum Zeitpunkt der Wahl wegen einer Abwesenheit vom Betrieb an der persönlichen Stimmabgabe verhindert sind. Diese Verhinderung ist dann auch durch den Wahlvorstand zu prüfen.   

 

Ohne ein solches Verlangen eines Wahlberechtigten hat der Wahlvorstand die Briefwahl nach § 24 Abs. 2 WO „von Amts wegen" zu ermöglichen, soweit ihm bekannt ist, dass

  • die Wahlberechtigten entweder im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden – diese Ausnahme betrifft insbesondere Außendienstmitarbeiter sowie in Telearbeit und Heimarbeit Beschäftigte - oder
  • die Wahlberechtigten  vom Erlass des Wahlausschreibens bis zum Zeitpunkt der Wahl aus anderen Gründen voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden. Das betrifft insbesondere Fälle ruhender Arbeitsverhältnisse oder der Arbeitsunfähigkeit.

Schließlich ermöglicht die Wahlordnung in § 24 Abs. 3 eine pauschale Anordnung der Briefwahl für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, jedoch betriebsverfassungsrechtlich zum Hauptbetrieb gehören. Auch dieser dritte Absatz der Ausnahmeregelung rechtfertigt damit nicht die reine Briefwahl für sämtliche Arbeitnehmer eines Betriebes.

 

Keine weiteren Ausnahmen im Lichte der Pandemie

Weitere Ausnahmen, die zu einer Befugnis des Wahlvorstands zur einseitigen Anordnung der Briefwahl führen, sieht die Wahlordnung auch im Lichte der Pandemie nicht vor. Die Abwesenheit vom Betrieb muss sich nach der gesetzlichen Wertung also auch bei den Betriebsratswahlen 2022 aus der konkreten Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses oder der persönlichen Sphäre des Wahlberechtigten ergeben. Allein das der Pandemie geschuldete von außen einwirkende Erfordernis des Gesundheitsschutzes stellt gerade keinen Ausnahmefall im Sinne der Wahlvorschriften dar und kann den Grundsatz der persönlichen Wahl daher nicht durchbrechen. Weder das Betriebsrätemodernisierungsgesetz (lesen Sie hier unseren Artikel zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz) noch die Änderung der Wahlordnung enthalten Vorgaben zur Einführung von Sondervorschriften für die Zeit der Pandemie. Eine der für die Personalratswahl 2020 befristet eingeführte Ausnahmeregelung des § 19a der Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz vergleichbare Sonderregelung wurde für die Betriebsratswahl 2022 bisher nicht geschaffen, obwohl dem Gesetzgeber die Problemstellung durchaus bekannt sein dürfte.

 

Entscheidung über die Anordnung der Briefwahl im Einzelfall

Damit bleibt festzuhalten, dass die Durchführung der Betriebsratswahl mittels Briefwahl nicht allein im Ermessen des Wahlvorstands steht und eine generelle reine Briefwahl mit dem Gesetzeswortlaut und dem Grundsatz des Vorrangs der persönlichen Stimmabgabe nicht vereinbar ist. Es muss also anhand des Einzelfalles beurteilt werden, ob die persönliche Stimmabgabe am Wahltag weiterhin möglich ist. Ein solcher Einzelfall kann etwa bei einer Abwesenheit aufgrund von Urlaub, Krankheit oder Kurzarbeit vorliegen, wenn bekannt und absehbar ist, dass die persönliche Verhinderung des einzelnen Wahlberechtigten auch am Wahltag besteht.

 

Briefwahl aufgrund Homeoffice

Die Fälle eines (Corona-)Homeoffice können zwar im Einzelfall eine Briefwahl rechtfertigen, stellen jedoch nicht per se einen Ausnahmefall dar. Erst recht nicht für die Anordnung einer reinen Briefwahl. Das Homeoffice kann eine zur Briefwahl berechtigende „Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses im Zeitpunkt der Wahl" darstellen. Für eine reine Briefwahl müssten sich aber sämtliche Wahlberechtigte eines Betriebes in bekannter und absehbarer Weise zum Zeitpunkt der Wahl im Homeoffice befinden. Das setzt bereits von vornherein fest durch den Arbeitgeber vorgegebene Homeoffice-Tage voraus, an denen der Wahlberechtigte regulär nicht im Betrieb anwesend ist. Das zeigt ein Vergleich mit der gesetzlichen Wertung der „Telearbeit" als Ausnahme, die einen vom Arbeitgeber fest eingerichteten häuslichen Arbeitsplatz und eine entsprechende Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Erbringung der Arbeitsleistung am häuslichen Arbeitsplatz erfordert. Telearbeit ist gerade nicht mit dem flexibel durchgeführten „Corona-Homeoffice" gleichzusetzen. Daher bedarf es für eine Briefwahl für im Homeoffice Beschäftigte einer peniblen Einzelfallbeurteilung unter Betrachtung der konkreten betrieblichen Gegebenheiten.  

 

Fazit und Ausblick

Auch wenn aufgrund der bis zum 19. März 2022 befristeten Sonderregelung bestimmte Betriebsversammlungen digital erfolgen können und der Gesetzgeber mit der Änderung der Wahlordnung mit § 1 Abs. 4 WO unter bestimmten Voraussetzungen die Zulässigkeit virtueller Sitzungen des Wahlvorstands eingeführt hat, bleibt es für die Betriebsratswahl bei dem Grundsatz der persönlichen Stimmabgabe vor Ort. Für die Betriebsratswahlen 2022 wurden gerade keine derartigen Sonderregelungen geschaffen. Auch die Pandemie oder das in den vergangenen zwei Jahren etablierte Pandemie-Homeoffice können eine reine Briefwahl nicht rechtfertigen. Die Betriebsratswahl 2022 steht daher mit Blick auf die Art der Stimmabgabe unter einem besonderen Erfordernis der Einzelfallprüfung. In der generellen Anordnung einer reinen Briefwahl für alle Arbeitnehmer eines Betriebes entgegen der gesetzlichen Voraussetzungen kann nämlich ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren liegen, der zur Anfechtbarkeit der Wahl führt. Das ist bereits beim Erlass des Wahlausschreibens zu beachten.

 

Eine mögliche Abkehr vom Grundsatz der persönlichen Stimmabgabe in Form der Urnenwahl bringt möglicherweise der Ende des Jahres 2021 veröffentlichte Koalitionsvertrag. Die Ampelkoalition setzt sich nämlich unter dem Punkt „Mitbestimmung" zum Ziel, Online-Betriebsratswahlen in einem Pilotprojekt zu erproben.

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