Das EU-Austrittsgesetz Großbritanniens: verschleierte Weitergeltung von EU-Recht

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veröffentlicht am 28. Februar 2019


Während viele Aspekte des Brexit bis heute noch ungeklärt sind, hat man in Großbritannien aus nicht-britischer Sicht fast unbemerkt das EU-(Austritts)Gesetz 2018 („EU Withdrawal Act 2018” – EUAG) verabschiedet. Zweck des Gesetzes ist es, ein rechtliches Vakuum zu vermeiden, wenn Gesetze, die gegenwärtig im Vereinigten Königreich aufgrund der EU-Mitgliedschaft Anwendung finden, nach dem Brexit wegfallen werden.


  

Derzeitige Rechtshierarchie

Gegenwärtig gilt Unionsrecht im Vereinigten Königreich durch das Gesetz über die Europäischen Gemein­schaften 1972 (im Englischen: European Communities Act 1972, kurz „ECA 1972”). Danach finden be­stimmte Arten von unionsrechtlichen Rechten und Verpflichtungen im Vereinigten Königreich mit (Richtlinien) oder ohne (Verordnungen) die Notwendigkeit nationaler Umsetzungsakte Anwendung.


Im Hinblick auf die Frage der Anwendbarkeit genießt Unionsrecht Vorrang. Richter eines britischen Gerichts sind nach Art. 3 Abs. 1 des ECA 1972 ebenfalls verpflichtet, bei ihrer Entscheidungsfindung den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu folgen.

Durch den Austritt werden allerdings sowohl unmittelbar geltendes Unionsrecht als auch sekundäre Gesetzgebung – die den anderen Arten von Unionsrecht auf nationaler Ebene Geltung verschafft – nicht anwendbar sein. Das würde wesentliche Regelungslücken in Bereichen hinterlassen, für die im Vereinigten Königreich bislang traditionell abgeleitetes Unionsrecht galt.


Überleitung europäischen in nationales britisches Recht

Das EUAG will eine neue Kategorie von Unionsrecht innerhalb des britischen Rechts schaffen – das sog. „beibehaltene Unionsrecht”. Durch das EUAG wird das Unionsrecht, wie es im Vereinigten Königreich am Austrittstag gilt, zu nationalem Recht und wird in das eigene Rechtssystem eingeführt. Dabei gibt es allerdings auch Ausnahmen. Die auffälligste darunter ist der konkrete Ausschluss der Geltung der Grund­rechte-Charta der EU (Art. 5 Abs. 4 EUAG). Ob der Ausschluss tragbar ist wird sich – voraussichtlich durch gerichtliche Überprüfung aufgrund von Klagen – zeigen.

Durch die Überführung in nationales Recht wird das Prinzip des Vorrangs von Unionsrecht – wenngleich es nicht für Gesetze gilt, die nach dem Austrittstag verabschiedet werden – weiterhin Geltung haben, sofern es um die Frage der Anwendbarkeit oder der Auslegung von Parlamentsgesetzen und rechtlichen Grund­sätzen geht, die vor dem Austrittstag verabschiedet bzw. erlassen wurden (Art. 5 Abs. 2 EUAG). Zudem gilt es im Falle der Änderung einer Rechtsvorschrift nach dem Austrittstag, solange die Anwendung des „Vorrangprinzips” mit den Zielen der Änderung in Einklang steht (Art. 5 Abs. 3 EUAG).

Das bedeutet, dass im Konfliktfall zwischen beibehaltenem Unionsrecht und nationalem Recht, das vor dem Austrittstag erlassen wurde, ersteres Vorrang haben wird. Vom britischen Parlament nach dem Austrittstag erlassene Rechtsnormen werden jedoch beibehaltenem Unionsrecht vorgehen.


Gerichtliche Überprüfbarkeit und Auslegung

Gemäß Art. 6 Abs. 1 werden die britischen Gerichte nicht mehr an die Prinzipien oder Entscheidungen gebunden sein, die der EuGH nach dem Austrittstag festschreibt oder trifft.

Ein britisches Gericht kann seine Urteile gem. Art. 6 Abs. 2 gleichwohl auf Entscheidungen und Prinzipien des EuGH – sowie sämtliche Maßnahmen der EU oder ihrer Einrichtungen – stützen, die nach dem Austrittstag niedergelegt werden, wenn es das für „angemessen” hält. Zudem muss es beibehaltenes Unionsrecht im Einklang mit einschlägiger Rechtsprechung nationaler Gerichte und Unionsgerichte aus der Zeit vor dem Austrittstag auslegen. Einzig der „Supreme Court” als „oberstes” Gericht Großbritanniens darf gem. Art. 6 Abs. 4 (a) von den Entscheidungen des EuGH, die vor dem Austrittstag getroffen wurden, abweichen, soweit er das für angemessen hält.

Die nationale Auslegung der „Angemessenheit” wird wesentlichen Einfluss darauf haben, mit welcher Geschwindigkeit sich das britische Recht vom europäischen entfernen wird, also „entharmonisiert” wird. Es ist aber anzunehmen, dass die Gerichte im Hinblick auf diejenigen Themen, die nach dem Inhalt der zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ausgehandelten Handelsabkommen eine harmonische Auslegung mit der EU erfordern, den Entwicklungen im Unionsrecht nach dem Brexit größere Aufmerksamkeit schenken werden.


Praktische Entwicklung

Es ist vor dem Hintergrund des EUAG zu erwarten, dass in den kommenden Monaten und Jahren die britische Regierung damit beschäftigt sein wird, auf Grundlage des EUAG einen Satz an Rechtsver­ord­nungen zu entwerfen, um das beibehaltene Unionsrecht angemessen zu ändern und so eine sich zunehmend vom EU-Recht unterscheidende Rechtsordnung zu schaffen.

Unternehmen sollten den Erlass von Verordnungen im Blick haben, die sich auf ihre Geschäftstätigkeit auswirken können. Es wird notwendig sein, eine stetige Kontrolle der Änderungen vorzunehmen.

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Jan Eberhardt

Rechtsanwalt, Solicitor (England und Wales)

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